Die Clans von Stratos
Entschuldige.« Naroin machte ein besorgtes Gesicht. »Ich kann nur für meine nächste Vorgesetzte sprechen. Sie ist in Ordnung. Aber die Politiker über ihr? Keine Ahnung. Würde es aber lysosverflucht selbst gern wissen.« Sie hielt inne und schwieg eine Weile. Dann beugte sie sich wieder über die Konsole.
»Die Frage ist doch, ob Inanna Zeit hatte, die Information weiterzugeben, daß morgen der Fluchtversuch stattfinden soll. Wir müssen aber davon ausgehen. Das vereitelt natürlich alle Pläne, es zu unserem Vorteil auszunutzen, daß wir sie haben auffliegen lassen. Wenn die Seeräuber kommen, nützt uns auch ein kleines Boot wie dieses hier nichts mehr.« Naroin gestikulierte zu dem Boot hinüber, das am Landesteg festgebunden war. »Du hast garantiert einer ganzen Menge Leute das Leben gerettet, Maia. Die anderen oben werden jetzt in keinen Hinterhalt mehr segeln. Aber wir sitzen immer noch hier fest.«
Jetzt schob Maia das schwere Segeltuch beiseite und stand auf. Sie rieb sich die Schultern und wanderte langsam zum Wasser und wieder zurück. Durch den Tunnel hörte man die Geräusche der auslaufenden Flut.
»Vielleicht nicht«, meinte sie nach einer langen, nachdenklichen Pause. »Vielleicht gibt es doch einen Weg.«
Logbuch des Peripatetikers:
Mission Stratos
Ankunft plus 52.364 Megasekunden
Vielleicht irre ich mich gründlich. Vielleicht geht es bei diesem großartigen Experiment gar nicht um Sex. Das vorgebliche Ziel, die Gefahr und die Unruhe, die in der männlichen Natur liegen, möglichst gering zu halten… das war alles nur Staffage. In Wirklichkeit ging es ums Klonen. Darum, den Menschen eine alternative Methode zur Selbstkopie zu bieten. Wenn Männer in der Lage wären, ihr eigenes Duplikat zu gebären, wie Frauen es können, dann hätte Lysos sie vermutlich in ihre Pläne einbezogen.
Hier wird unter Psychologen viel von Gebärmutterneid bei Jungen und Männern gesprochen. So erfolgreich ein männlicher Stratoiner im sonstigen Leben auch sein mag, kann er doch bestenfalls darauf hoffen, sich stellvertretend zu reproduzieren, nicht durch persönliches Erschaffen und niemals durch Duplikation. Das mag auf anderen Welten schon ein berechtigter Einwand sein, aber auf Stratos ist er völlig unumstritten.
Die vorläufigen Ergebnisse der Bioproben sind eingetroffen und zeigen, daß ich keine akut ansteckenden interstellaren Krankheiten mit mir herumtrage… jedenfalls keine, die sich durch oberflächlichen Kontakt auf Stratos verbreiten könnten. Das ist eine wirkliche Erleichterung, wenn man bedenkt, was meine Kollegin, die Peripatetikerin Lina Wu ohne böse Absicht auf der Reichswelt ausgelöst hat. Ich wäre ungern das Vehikel einer solchen Tragödie.
Trotz dieser Ergebnisse wollen einige stratoinische Fraktionen mich immer noch in Semiquarantäne behalten, um die ›kulturelle Verseuchung zu minimieren‹. Zum Glück scheint die Mehrheit, wenn auch sehr langsam, auf eine entspanntere Haltung hinzusteuern. Ich bekomme inzwischen regelmäßig Besuch – Delegationen verschiedener Bewegungen und Interessengruppen. Sicherheitsrätin Groves ist nicht glücklich darüber, aber gemäß der Verfassung kann sie nichts dagegen unternehmen.
Heute hat die Abordnung einer Ketzergemeinschaft mich darum gebeten, sie mitzunehmen, wenn ich zurückreise! Sie wollen Missionarinnen in die Hominidenregion schicken und die Botschaft der ›Stratos-Methode‹ verbreiten. Wenn man kulturelle Verseuchung nach außen trägt, gilt sie schnell als ›Aufklärung‹.
Ich habe ihnen die beschränkten Kapazitäten meines Shuttle erklärt und konnte sie mit dem Angebot, ein paar Aufnahmen ihrer Botschaft mitzunehmen, einigermaßen beschwichtigen. Nicht, daß das eine Rolle spielt. In ein paar Jahren oder Jahrzehnten können sie ihre Botschaft persönlich übermitteln.
Als man mich ausgesandt hat, um den schwachen Robotersignalen aus diesem System nachzugehen, habe ich erwartet, daß Eisschiffe bereitstehen, um meinen Bericht entgegenzunehmen. Aber die Sternenflotte von Florentina verschwendete keine Zeit. Anscheinend wird das Phylum früher eintreffen, als selbst ich es erwartet habe, um den Bund zu besiegeln und all die nüchternen Argumente der Ratsfrauen und Savanten zu entkräften, die die noble Isolation um jeden Preis bewahren wollen.
Trotz ihrer überholten Instrumente werden die Savanten von Stratos irgendwann erfahren, was los ist, und anfangen, Antworten zu verlangen.
Besser, wenn sie es von mir
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