Die Clans von Stratos
so ruhig war. Er war grün im Gesicht. Offensichtlich war ihm schlecht. Hoffentlich würde er ihnen bei dieser Mutprobe nicht vor die Füße kotzen.
Der Augenblick der Entscheidung rückte näher. Plan A sah einen Kampf vor. Aber wenn es zu hoffnungslos aussah, sollten diejenigen im Boot mit dem Wind fliehen, und zwar so, daß die Inseln zwischen ihnen und den Piraten lagen. Nur dann gab es überhaupt eine Chance, die Frauen, die sich auf dem Floß opferten, jemals zu rächen. Da der Feind eine Radaranlage besaß, waren auch die Aussichten auf eine ungehinderte Flucht nicht sehr rosig, aber die List war ihre beste Möglichkeit.
»Dreihundert Meter«, sagte Naroin. »Zweihundertachtzig… verdammte Scheiße!«
Sie schlug mit der Faust auf die Reling, daß diese vibrierte. Einen Augenblick später erklang ein dumpfes Donnergrollen, obgleich der Himmel klar war.
»Was ist das?« fragte Maia und drehte sich gerade rechtzeitig zum Bildschirm, um zu sehen, wie das Wasser direkt neben dem Floß hoch aufspritzte und seine Besatzung patschnaß wurde.
»Eine Kanone. Sie haben eine Kanone!« rief Naroin. »Diese lysosverfluchten, lugargesichtigen, mannsköpfigen Weiber. Damit haben wir nicht gerechnet.«
Mit fürchterlich schlechtem Gewissen, da der Plan ja von ihr stammte, reckte Maia den Hals, als Naroin jetzt wieder auf das näher kommende Piratenschiff umschaltete. An seinem Bug flammte durch den Qualm des ersten Schusses erneut ein Blitz auf. Die nächste Fontäne drohte das Floß zu überschwemmen. »Jetzt nehmen sie sie in die Mangel«, knurrte Naroin. »Was glotzt du denn so?« fauchte sie dann plötzlich Maia an. »Paß lieber auf deine Ruder auf. Ich sag euch schon, was passiert.«
Maia fuhr herum. Im gleichen Moment erfaßte eine Welle ihr winziges Boot und warf es auf die Felswand zu. »Rudern!« schrie Brod und legte sich ins Zeug. Mit aller Kraft schafften sie es in letzter Sekunde, vor der zerklüfteten Klippe beizudrehen. Doch dann zog sich die Welle ebenso plötzlich, wie sie gekommen war, wieder zurück und riß das Boot mit sich. »Naroin! Vorsicht!« rief Maia. Aber die Polizistin war so damit beschäftigt, über die Vorgänge, die ihr der Bildschirm zeigte, zu fluchen, daß sie zu spät bemerkte, wie ein Geflecht bis zum äußersten gespannter Fiberkabel von der Strömung mitgerissen wurde und ihr das elektronische Gerät aus der Hand riß. Das Spionagegerät flog ein Stück durch die Luft, dann klatschte es aufs Wasser und verschwand.
Naroin stand auf und sandte ihm ein paar saftige Flüche mit den entsprechenden Gesten nach. Das Boot geriet noch heftiger ins Schaukeln, aber dann hörte man noch mehr Donnerschläge durch die Klippen hallen, und Naroin faßte sich wieder. Sie setzte sich und legte Arm und Hand ans Steuer. »Macht nichts, es dauert ohnehin nicht mehr lange«, sagte sie.
»Wir können doch nicht einfach hier rumsitzen!« rief Tress. »Lullin und die anderen werden in Stücke gerissen!«
»Sie wußten, das es schwer wird. Wenn wir uns jetzt zeigen, werden wir nur ebenfalls getötet.«
»Sollen wir versuchen wegzukommen?« fragte Charl.
»Sie würden uns entdecken, sobald sie die Insel umrunden. Der Segler ist schneller, und ihre Kanone macht jeden Vorsprung zwecklos.« Naroin schüttelte den Kopf. »Außerdem will ich Rache. Wir gehen näher ran, aber wir warten, bis der letzte Schuß abgefeuert ist, ehe wir Segel setzen.«
Nun, da sie sich von den Klippen entfernten, wurde der Seegang schwächer. Sie ließen sich von der Strömung nach Norden tragen. Weitere Schüsse erschütterten die Luft, lauter und lauter. Maia spürte es in den Ohren und im Gesicht. Als sie näherkamen, hörte sie auch noch die schrillen Verzweiflungsschreie der Frauen, und Maias Herz wurde schwer.
»Wir müssen…«
»Halt den Mund!« fauchte Naroin Tress an.
Dann hörten sie ein unglaubliches Geräusch. Am ehesten ähnelte es dem Krachen, mit dem die Schotten an Bord des Kohlenfrachters Wotan zersplittert waren. Es war eine Explosion, aber diesmal nicht nur im Wasser – jetzt flogen Holz und Knochen durch die Luft. Das Echo verlief sich in der langen, entsetzten Stille, nur durchbrochen von dem Krachen der Wellen am felsigen Ufer. Maia wollte schlucken, aber ihr Mund und ihre Kehle waren so trocken, daß allein der Versuch zur Qual wurde.
Als Naroin sprach, zitterte ihre Stimme, und sie konnte ihre Wut nur mühsam zurückhalten. »Jetzt sehen sie sich die Bescherung eine Weile aus der Entfernung an,
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