Die Company
Frau.
1 New London,
Connecticut, Sonntag, 4. Juni 1950
Z
wei Achter mit Steuermann jagten Bug an Bug zwischen den Bojen hindurch über den spiegelglatten Fluss. Träge Böen, durchtränkt vom salzigen Aroma des Meeres und den heiseren Schreien der Studenten am Ufer, trieben über sie hinweg. Jack McAuliffe, der für Yale ruderte, drehte eine Sekunde zu früh die Riemen flach und hörte den Steuermann Leo Kritzky leise fluchen. Gleich darauf gab Leo das Kommando zum Endspurt. Die Ruderer hinter Jack stöhnten jetzt bei jedem Schlag. Jack rutschte auf seinem Sitz vor, bis die Knie die Achselhöhlen streiften. Als sein Ruder von einer Welle gebremst wurde, spürte er einen stechenden Schmerz an der Rippe, die mehrmals gebrochen gewesen war. Der Griff des Ruders war glitschig vom Blut einer geplatzten Blase. Das glitzernde Sonnenlicht auf dem Wasser blendete ihn eine Sekunde lang. Als er wieder sehen konnte, erhaschte er einen kurzen Blick auf den Harvard-Achter, der auf seinem eigenen Spiegelbild in vollkommenem Gleichklang durchs Wasser glitt. Der Steuermann erhöhte das Tempo. Mit langen, fließenden Bewegungen von Armen und Beinen überließ Jack sich dem Rhythmus des Schmerzes. Als das Yale-Boot kurz vor dem Gegner über die Ziellinie glitt, sackte Jack über seinem Ruder zusammen und fragte sich, was für eine Laune des Wahnsinns ihn bewogen haben mochte, in die Mannschaft zu gehen.
»Rudern«, rief Skip Waltz über den Lärm am Bahnhof von New Haven hinweg, »ist ein großartiges Übungsfeld für das wirkliche Leben, denn man macht etwas, das im Grunde ganz einfach ist, und perfektioniert es.«
»Was ist Ihrer Meinung nach der schwierigste Augenblick bei einem Rennen, Coach Waltz?«, fragte die Reporterin von der Yale- Studentenzeitung.
Waltz spitzte die Lippen. »Ich würde sagen, wenn man zum nächsten Schlag ausholt, denn da bewegt man sich in die entgegengesetzte Richtung des Boots. Ich sage meinen Jungs immer, dass Rudern eine Metapher für das Leben ist. Wenn die Balance nicht stimmt, gerät das Boot ins Wanken, und das Rennen ist verloren.« Der Coach warf einen Blick auf die Bahnhofsuhr und sagte: »Wie sieht’s aus, Jungs? Darf ich euch noch auf einen Punsch ins Mory’s einladen?«
»Ein andermal, Coach«, sagte einer der Ruderer. »Ich hab morgen um elf mündliche Prüfung in Philosophie, und ich muss noch mal einen Blick in Kants Kritik der reinen Vernunft werfen.«
Einer nach dem anderen entschuldigten die Ruderer sich und machten sich auf den Weg zurück zum College. Nur Jack und Leo und dessen Freundin Stella nahmen Waltz’ Einladung an. Der Coach holte seinen Wagen vom Parkplatz und fuhr vor dem Bahnhof vor. Leo und Jack warfen ihre Sporttaschen in den Kofferraum, und die drei stiegen ein.
Das Mory’s war fast leer, als sie eintrafen. Zwei Kellner und eine Hand voll Studenten, alle mit Jackett und Krawatte, beklatschten den Sieg über den Urfeind Harvard. Der Coach bestellte eine Runde Punsch, und die vier setzten sich an einen kleinen Tisch. Eine Weile fachsimpelten sie übers Rudern, und als die Getränke kamen, hob Coach Waltz sein Glas und prostete den beiden Ruderern zu. Dann neigte er den Kopf ein wenig und fragte die beiden jungen Männer beiläufig, ob sie Fremdsprachenkenntnisse hätten. Wie sich herausstellte, sprach Jack fließend Deutsch und einigermaßen Spanisch; Leo, der aus einer antikommunistischen, russisch-jüdischen Immigrantenfamilie stammte und mit einem Stipendium Slawistik und Geschichte studierte, sprach Russisch und Jiddisch wie seine Muttersprache und Italienisch wie ein Tourist. Der Coach nickte und fragte dann, ob sie überhaupt Zeit hätten, sich über die internationale politische Lage auf dem Laufenden zu halten, und als beide bejahten, lenkte er das Gespräch auf den Staatsstreich der Kommunisten in der Tschechoslowakei von 1948 und auf Kardinal Mindszenty, der 1948 im kommunistischen Ungarn verhaftet und zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war. Beide jungen Männer waren der Meinung, dass die Amerikaner und Briten Westeuropa verteidigen müssten, um zu verhindern, dass russische Panzer durch Deutschland und Frankreich bis zum Ärmelkanal vorstießen. Waltz fragte, was sie über den Versuch der Russen dächten, die Alliierten aus Westberlin zu verdrängen.
Jack befürwortete Trumans Luftbrücke, die Stalin gezwungen hatte, die Berliner Blockade aufzuheben. »Wenn Berlin irgendetwas beweist«, sagte er, »dann, dass Joe Stalin nur
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