Die Company
Genosse«, sagte Eugene.
»Hier hört uns keiner außer den Tauben«, sagte Abel. »Ich kann die kleinen Biester nicht ausstehen. Tun Sie mir einen Gefallen, sprechen Sie Russisch.«
Eugene beantwortete die neugierigen Fragen des sowjetischen Spionageoffiziers, der wissen wollte, was es Neues in der Heimat gab. Wie war das Wetter in Moskau gewesen, als Eugene abreiste? Waren inzwischen mehr Autos auf den Straßen? Welche Filme hatte Eugene zuletzt im Kino gesehen? Welche Bücher hatte er gelesen? War an der amerikanischen Propaganda etwas dran, dass in den staatlichen Geschäften die Konsumgüter knapp waren? Dass die Leute in Krasnojarsk wegen Brotmangels auf die Straße gingen? Dass jiddische Dichter und Schauspieler wegen Verschwörung gegen Genosse Stalin verhaftet worden waren?
Zwanzig Minuten später stand Eugene auf und reichte ihm die Hand. Oberst Abel schien ihn nur ungern gehen zu lassen. »Am schlimmsten ist die Einsamkeit«, sagte er. »Und die Aussicht, dass mein Heimatland Amerika angreifen und mich mit einer seiner A-Bomben töten könnte.«
Zehn Tage blieb Eugene im Saint George, erkundete die Gegend, um sie sich einzuprägen, trank Egg Cream in der Milchbar, in der er als Jugendlicher angeblich viel Zeit verbracht hatte, ging in den Waschsalon und das Chinarestaurant, wo er entsprechend seiner Legende Stammkunde gewesen war. Er kaufte sich zwei Reisetaschen in einem Discountladen am Broadway und füllte sie mit Secondhandkleidung – Sportjackett und Hose, Slipper, vier Hemden, Krawatte, Lederjacke und Regenmantel –, die er in der Madison Avenue erstand. Am ersten April packte Stariks neuester Agent in Amerika seine Reisetaschen und setzte sich auf eine von ihnen, damit es ihm für die bevorstehende Reise Glück brachte. Dann bezahlte er seine Hotelrechnung in bar, fuhr mit der Subway zur Grand Central Station und bestieg einen Zug nach Washington, wo ein neues Leben als sowjetischer Illegaler auf ihn wartete.
In Washington angekommen, nahm er ein Taxi und erreichte sein Ziel, als Max Kahn gerade Feierabend machte und seinen Getränkeladen abschloss.
Kahn, ein kleiner, untersetzter Mann Anfang fünfzig mit widerborstiger weißer Mähne schrak auf, als er jemanden an die Scheibe klopfen hörte. Er winkte ab und rief: »Tut mir Leid, aber wir haben schon –« Dann nahm sein Gesicht einen erfreuten Ausdruck an, als er die beiden Reisetaschen sah. Er schritt zur Tür, schloss sie auf und umarmte Eugene stürmisch. »Ich hab dich schon vor Tagen erwartet«, sagte er heiser flüsternd. »Herein mit dir, Genosse. Du wohnst im Dachappartement – ich habe es letzte Woche extra neu gestrichen.« Er nahm eine von Eugenes Taschen und ging voraus die schmale Treppe hinten im Laden hoch.
Wenn er von sich erzählte, was nicht oft vorkam, sagte Kahn gern, dass sich sein Leben an dem Abend verändert hatte, als er Anfang der Zwanzigerjahre auf dem Broadway zufällig in eine Diskussionsgruppe jüdischer Intellektueller geraten war. Zu der Zeit studierte er noch unter seinem richtigen Namen Cohen an der Columbia-Universität Betriebswirtschaft. Die marxistische Kritik am kapitalistischen System hatte ihm die Augen für eine Welt geöffnet, die er bis dahin nur undeutlich wahrgenommen hatte. Mit seinem Abschluss in der Tasche war er in die amerikanische Kommunistische Partei eingetreten und hatte bei der Parteizeitung Daily Worker angefangen, wo er bis zum Angriff der Deutschen auf die UdSSR im Juni 1941 Abonnements verkaufte und als Schriftsetzer arbeitete. Von diesem Zeitpunkt an hatte er auf Anweisung eines sowjetischen Diplomaten die Arbeit für die Partei eingestellt, jeden Kontakt mit ihr abgebrochen, seinen Namen in Kahn umgeändert und sich in Washington niedergelassen. Mit Geldern, die ihm sein Führungsoffizier beschaffte, hatte er einen Getränkeladen gekauft und Kahn ’s Wine & Beverage getauft.
»Man hat so einige von uns ausgewählt, um in den Untergrund zu gehen«, erzählte er Eugene am Abend nach dessen Ankunft bei Spaghetti und Bier. »Wir waren keine Parteimitglieder mehr, aber wir standen unter Parteidisziplin – wir waren gute Soldaten, wir gehorchten Befehlen. Mein Führungsoffizier brauchte nur in eine Richtung zu zeigen, und ich marschierte los, ohne Fragen zu stellen, um für den Weltsozialismus zu kämpfen. Ich kämpfe noch immer für die gute Sache«, fügte er stolz hinzu.
Kahn war lediglich gesagt worden, dass er einen jungen Parteigenossen aus New York bei sich
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