Die Comtessa
Verletzung zuließ, gab den Männern die Hand und verabschiedete sich von der Priorin. Dabei steckte sie der alten Frau einen Beutel mit klingendem Silber zu.
»Für Eure Kirche«, sagte sie und ließ sich von Felipe in den Sattel helfen. Die Wunde schmerzte bei jeder Bewegung, aber sie biss die Zähne zusammen, um sich nichts anmerken zu lassen. »Betet für uns«, rief sie, winkte noch einmal, dann verschwand der kleine Trupp in der Dunkelheit.
Die Priorin starrte ihnen nach. »Möge Gottes Hand dich leiten und beschützen, mein Kind«, flüsterte sie. In ihren Augen glitzerte es feucht.
Unter der Sichel eines Halbmondes, der die winterliche Landschaft mit silbernem Licht übergoss, folgten sie dem Pfad, den man ihnen beschrieben hatte, und ritten die ganze Nacht hindurch. Auf und ab führte der Ritt über kurvenreiche, steinige Strecken, meist durch dichte Wälder. In der Ferne konnte man Wölfe heulen hören, Reh- und Wildschweinfährten kreuzten ihren Weg, einmal sahen sie eine Bärenspur im Schnee.
In der Dunkelheit kamen sie nur langsam voran, ritten vorsichtig, um Fehltritte der Pferde zu vermeiden, und nicht zuletzt, um Ermengarda zu schonen. Von Zeit zu Zeit rasteten sie, darauf bedacht, sie nicht zu überanstrengen. So war es schon heller Tag, als sie endlich tiefer gelegenes Gelände erreichten und sich Burg und Örtchen Vinça näherten. Dort hielten sie nicht an, sondern beeilten sich, die Brücke über die Tet zu nehmen, um auf der anderen Seite die nächste Anhöhe zu erklimmen.
Die Gegend hieß la Fenolheda und gehörte zum Vorland des östlichen Pireneus. Auch dies war bis zur Grenze der Corbieras noch katalanisches Gebiet. Dennoch zogen sie es vor, sich von allen Siedlungen fernzuhalten. Hier lag kein Schnee, die Wege waren breit, und sie kamen schnell voran. Weinberge und Olivenhaine säumten die Straße, im Boden schlummerte die Wintersaat.
Trotz der Sonne am strahlend blauen Himmel wehte ein eisiges Lüftchen. Das dunkle Grün der Wälder von immergrünen Steineichen und hohen Buchsbaumsträuchern ließ einen fast vergessen, dass es Winter war. Als sie einen Augenblick anhielten und den Weg, den sie gekommen waren, zurückblickten, bot sich ihnen eine Landschaft von einzigartiger Schönheit.
Grüne Hügel gingen in blaue, schneebestäubte Berge über, dahinter strahlte der weiße Gipfel des Canigou. Auch er war nur ein Teil der
serra,
dieser mächtigen Gebirgskette, die sich, so weit das Auge reichte, über den ganzen südlichen Horizont hinwegzog, um sich dann nach Westen zu in den Weiten zu verlieren.
Hinter dieser Mauer aus Bergen liegt Spanien und Catalonha, dachte Ermengarda, nun weiter entfernt als je zuvor. Nichts hatten sie erreicht. Wieder waren sie auf der Flucht, diesmal gejagt von einem Meuchelmörder. Dazu machte ihr jetzt auch noch die Wunde zu schaffen. Jeder Ruck, jede brüske Bewegung des Pferdes übertrug sich auf ihren pochenden Arm.
Aber sie beherrschte sich, klagte nicht über die Schmerzen, denn der Pfeil des Mörders hatte sie weit verheerender in der Seele als in ihrem Fleisch getroffen. Nach außen gab sie sich wie immer, vielleicht ein wenig stiller und zurückgezogener als sonst. Aber tief in ihrem Herzen saß der Stachel des Verrats. Empörung stritt sich mit dem brennenden Begehr nach Gegenwehr und Vergeltung. Jemand aus der eigenen Familie versuchte, sie zu ermorden! Hatte ihr junger Geist zunächst Mühe gehabt, so etwas überhaupt zu begreifen, so zwang sie sich nun, die veränderten Umstände einzuordnen. Was als leidenschaftliche Auflehnung einer Jugendlichen und Flucht vor der ungewollten Ehe begonnen hatte, das war nun zu einem Ringen, einem tödlichen Zweikampf zwischen ihr und der Stiefmutter geworden.
Die Mordversuche hatten sie gewaltsam aus den Grübeleien über die Aussichtslosigkeit ihrer Lage gerissen, sie aufgerüttelt und ihren Willen gestärkt. Die Schmerzen der Wunde waren ihr willkommen, um ihren Hass zu schüren, ihren Widerstand anzufachen. Sie war entschlossen, die Kampfansage anzunehmen und die Feindin, die ihr nach dem Leben trachtete, ein für alle Mal zu besiegen. Auch wenn sie noch nicht wusste, wie dies zu vollbringen war.
Am Nachmittag erreichten sie das Flüsschen Agli, nicht weit von der Stelle, wo die Ruinen eines römischen
aquaeductus
die Senke überspannten. Sie folgten dem Flusslauf bis zum Dörfchen Sant Paul. Dort gab es eine Herberge für Pilger, die hier übernachteten, bevor sie sich hinauf in die wilde Schlucht
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