Die Comtessa
Wenn sie über Narbona herrschen wollte, musste sie ihre Gefolgsleute vereinen, nicht Zwietracht säen. Auch wenn es schwerfiel, es stand ihr nicht an, kleinmütigen und eigensüchtigen Gefühlen nachzugeben. Auch Adela hatte so etwas angedeutet, glaubte sie zu wissen. Sie musste Selbstbeherrschung und Größe zeigen. Männer mochten Liebschaften haben, aber einer Frau von Rang war das verboten. In dieser Hinsicht war ihre Stiefmutter ein abschreckendes Beispiel. Eine Ermengarda von Narbona musste über jeden Zweifel erhaben sein und über jedem Tadel stehen. Das schwor sie sich.
Und doch konnte sie nicht anders, als immer wieder an Arnaut zu denken. Als ihr das Herz überlief, setzte sie sich an das Flüsschen Agli und weinte bitterlich.
Dann nahte der Abend. Sie ritt den Burghügel hinauf und führte das Pferd in den Stall, wo ein Knecht das Tier in Empfang nahm, um es zu versorgen. Sie streichelte den Wallach. Er hatte ihr bisher gute Dienste getan. Sie ritt ihn umso lieber, weil er Arnaut gehörte.
»Auf ein Wort,
Domina.
« Vor ihr stand Raol. Seine hohe Gestalt überragte sie. Fast ein wenig furchteinflößend sah er aus. »Wird Felipe verraten, wo Ihr Euch aufhaltet?«
Sie hatte erwartet, dass er ihr Vorhaltungen machen und die wilde Rauferei zur Last legen würde, die das ganze Dorf in Aufruhr gebracht hatte, nicht aber, dass er Felipes Treue anzweifelte.
»Nein. Das wird er nicht.«
»Verschmähte Liebe hat schon manche ins Unglück gestürzt.«
Sie senkte den Blick. »Aber verraten wird er mich nicht. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.« Als sie wagte, ihm wieder in die Augen zu schauen, sah sie, dass er sie freundlich ansah.
»Ihr wollt also nach Carcassona.«
»In Carcassona finden wir Unterstützung. Allein können wir nichts ausrichten.« Sie erklärte ihm, was sie vorhatte. Er nickte nur, hielt sich nicht weiter mit ihren Ausführungen auf.
»Ich werde Euch begleiten. Wir nehmen genügend Berittene mit, zum Schutz.« Als sie ihm danken wollte, unterbrach er. »Zunächst aber müsst Ihr hier noch einige Tage bleiben,
Midomna.
Wir werden herausfinden, wie die Dinge stehen. Niemand reitet in ein Kriegsgebiet ohne Kundschafter.« Er musterte sie streng, als dulde er keine Widerrede.
»Ich verstehe«, sagte sie kleinlaut. »Das ist wohl klüger.«
»In drei oder vier Tagen sind wir zurück. Dann könnt Ihr Eure Entscheidungen treffen.«
Und so kam es, dass Arnaut mit seinem Onkel und fünf Mann nach Norden ritt, ins Gebiet der Trencavels.
***
Es klopfte an die Kammertür oben im Turm.
»
Castelan,
wacht auf. Das müsst Ihr Euch ansehen.«
Jaufré stöhnte. Was, zum Teufel, fiel Brun nur ein, ihn beim Mittagsschlaf zu stören?
»Gnade dir Gott, wenn du mich wegen einer Dummheit aufgeweckt hast«, brummelte er vor sich hin und setzte sich auf die Bettkante. Das Turmgemach war schon seit Ewigkeiten sein Lieblingsort auf dieser Burg. Es hatte sogar einen richtigen Kamin mit Rauchfang. Hier legte er sich gern nach dem Mittagsmahl ein Weilchen aufs Ohr.
»Hört Ihr,
Castelan?
Es ist wichtig.«
»Komme ja schon.«
Jaufré mühte sich in seine Stiefel und zog einen warmen Umhang über. Er öffnete die Tür und erklomm die letzten Stufen bis zur Plattform auf der Turmzinne. Ein verdammt kühler Wind wehte hier oben, bemerkte er missmutig. Neben Bruns hünenhafter Gestalt stand der Wachmann, der Dienst hatte.
»Da, schaut.« Brun wies mit der Hand hinunter ins Tal, dort wo die Straße am Kloster Cubaria vorbei nach Osten verlief. »Da kommt ein ganzer Heerhaufen. Die Reiterschlange ist schier endlos.«
Jaufré rieb sich die Augen. Er sah nicht mehr so gut wie früher, aber auch er konnte in etwa die Reiter ausmachen und das Glitzern von Helmen in der Sonne.
»Verflucht! Werden wir angegriffen?«
»Sind wohl eher auf der Reise, meine ich. Scheinen nicht zum Kampf gerüstet zu sein.« Da ertönte auch schon ein freundliches Hornsignal.
»Kannst du ein Wappen erkennen?«
»Katalanen sind das, schätze ich.«
»Bist du sicher? Was wollen die hier?«
Inzwischen waren die Ersten am Zollposten an der Brücke angelangt, wo die Abzweigung zur Burg begann.
»Die kommen doch tatsächlich hier herauf.« Jaufré schüttelte den Kopf.
Hastig kletterten sie die Turmstiege hinab, durchquerten den inneren Burghof, dann noch einen Durchgang hinunter bis in die Vorburg, wo sich Ställe, Werkstätten und der große Backofen befanden. Aus allen Ecken der Burg kamen sie gelaufen, um den seltsamen Besuch
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