Die Comtessa
bedauerte Arnaut, dass Felipe sich davongemacht hatte, denn auf wen konnte sie sich stützen, wenn nicht auf ihre Gefährten? Trotz seiner enttäuschten Empfindungen fühlte er sich immer noch verantwortlich für sie. Nach einigem Zögern legte er beschützend den Arm um sie und ließ es zu, dass sie sich enger an ihn schmiegte.
Er starrte hinüber, wo schemenhaft die Stadtmauern zu erkennen waren und vereinzelt Lichter auf den Zinnen. Dort standen die Wachen, gegen die sie bald in den Kampf ziehen würden. Er dachte an seine Mutter. Heftiger als sonst hatte sie ihn beim Abschied an sich gedrückt, als ängstigte sie sich, ihn zu verlieren. Fürchtete sie, dass er heute sterben könnte? Oder war es, weil sie spürte, dass ihr Sohn ihr nicht mehr gehörte? Ähnliches hatte er selbst empfunden, als er ihre tränennassen Wangen geküsst hatte. Severin und er waren in die Welt gezogen, wie Kinder, so kam es ihm jetzt vor, gierig auf Abenteuer. Nun, die hatten sie bekommen, mehr als genug. Es war, als habe er seine jugendliche Unbekümmertheit verloren, denn das Erlebte hatte vieles verändert.
Dabei war sein heimatliches Rocafort auf eigentümliche Weise klein und unbedeutend geworden. Vor ihm lag Narbona, so groß, so voller Lärm und Leben. Er liebte diese Stadt, den Trubel in den Gassen, die Händler und Marktfrauen, die ihre Waren ausriefen, Bettler, Pilger oder Gassenjungen so wie Jori. Und überhaupt, es war Ermengardas Stadt.
Aber gerade das machte es nicht leichter. Wie würde er hier leben, sie täglich sehen und dabei so fern von ihr bleiben? Oder sollte er doch nach Rocafort heimkehren? Vielleicht könnte er Severin zu einer Pilgerreise nach Outremer überreden. In Wahrheit fühlte er sich ziellos. Und in gewisser Weise kam ihm der bevorstehende Kampf wie eine Erlösung vor. Besser für eine gute Sache kämpfen und sterben, als tatenlos dahinzusiechen.
Er spürte ihre gleichmäßigen Atemzüge, das Gewicht an seiner Seite wurde schwerer, als ihr Körper sich entspannte, und so wagte er kaum, sich zu rühren. Er ließ sie schlafen, bis endlich die Glocke auf dem Turm der Kathedrale Mitternacht läutete. Dann weckte er sie, denn dies war das Signal zum Aufbruch.
Sturm auf Narbona
E in großes Feuer loderte im Kamin ihres Gemachs.
Ermessenda saß im seidenen Nachtgewand auf der Bettkante und bürstete sorgfältig ihr Haar, wie es ihre Gewohnheit war. Doch sie achtete kaum auf das, was sie tat, denn ihr Herz war unruhig und der Kopf voll schwerer Gedanken.
Der Zauber der Göttin Diana hatte nicht gewirkt. Sie fragte sich, ob es ihr überhaupt jemals gelingen würde, ihre Pläne durchzusetzen. Schweren Herzens hatte sie Tibauts Vorhaben gebilligt, als den einzigen Weg, ihren eigenen Sturz zu verhindern und ihrem Töchterchen Nina das Erbe des Vaters zu sichern.
In letzter Zeit jedoch war sie in allem so unschlüssig geworden. Nina fragte jeden Tag nach ihrer Schwester und weinte häufig, weil sie sich Sorgen um sie machte. Arme Nina. Ob sie ihre Schwester jemals wiedersehen würde?
Immer häufiger hatte sich la Belas schlechtes Gewissen gemeldet. Es war ihr nicht vergönnt, sich so kaltschnäuzig wie Tibaut über alles hinwegzusetzen. Seltsame Angstvorstellungen plagten sie seit geraumer Zeit, genährt von Ermengardas Auftauchen, mal hier, mal dort, um immer wieder wie ein Geist zu verschwinden, als sei sie kein Mensch aus Fleisch und Blut. Das verunsicherte sie, es steigerte ihre Furcht wie vor etwas Unsäglichem, das sich nicht greifen ließ. Sie träumte jetzt jede Nacht von diesem schrecklichen Bild – Ermengarda, die unter einem kriegerischen Banner an der Spitze einer Heermacht ritt, um sie in den Staub zu treten, sie zu töten. Es schnürte ihr die Kehle zu, obwohl der Gedanke natürlich völlig unsinnig war. Woher sollte sie denn ein Heer haben?
Sie griff nach dem Kelch an ihrem Bett und trank. Der Wein war ihr zuwider, doch sie brauchte ihn immer öfter, um ihre Seele zu beruhigen.
Sie dachte daran, Tibaut zu befehlen, seinen Mann zurückzurufen. Aber auch hierin war sie wie gelähmt. Wer wusste schon, wo der Kerl sich befand? Der war wie ein Pfeil, den man, einmal abgeschossen, nicht wieder einfangen konnte. Das Schicksal ging unaufhaltsam seinen Weg. Was konnte sie noch tun?
Ihre Gedanken wanderten zu Menerba. Sie hatte ihn nicht quälen wollen. Bald würde sie Felipe freilassen, er sollte nur sagen, wo sich Ermengarda befand, dann würde er gehen können. Tibaut hatte ihr versprochen, ihn
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