Die Comtessa
drang durch die dicken Mauern seines Kerkers.
Geräusche von außen, auch die unbedeutendsten, waren das Einzige, was es hier drinnen wahrzunehmen gab, außer dem harten Stroh, auf dem er lag, der Kette, die seine Knöchel scheuerte, und der zerlumpten Decke, die viel zu dünn war, um ihn zu wärmen. Die meiste Zeit dämmerte er dahin in Kälte, Schmerz und ewiger Nacht.
Er versuchte, sich bequemer zu legen. Als er sich dabei aufstützte, schoss wieder der stechende Schmerz aus seiner linken Hand den Arm hinauf. Die Finger waren so angeschwollen, dass er sie nicht bewegen konnte. Stöhnend ließ er sich zurücksinken und schloss die Augen. Sein ganzer Leib war eine Qual, besonders die Rippen, die zugeschwollenen Augen, die gebrochene Nase.
Er atmete flach, um seine Rippen zu schonen. Langsam und vorsichtig füllte er die Lungen, bis der erste Schmerz kam, dann ließ er die Luft wieder sanft entweichen. Er vertiefte sich in die Vorstellung, wie der Atem seinen ganzen Leib durchströmte, seine Arme und Beine, und dann wieder verließ. Den Wellen gleich, die an den Strand rollen und sich wieder zurückziehen.
Dabei empfand er ein seltsames Kribbeln und eine wohltuende Wärme in den Gliedern. Wenn er sich ganz darauf einstellte, an nichts anderes dachte und es lang genug durchhielt, kam manchmal für Stunden der Schlaf.
Wie schon oft zählte er seine Atemzüge. Irgendwann bei drei- oder vierhundert vergaß er es dann.
Er lag nun ruhig da, als schwebe er über der stinkenden Strohmatte, ohne sie zu berühren. Solange er sich nicht bewegte, fühlte er sich wohl. Es ließ ihn vergessen, wo er war. Er glaubte, das sanfte Flüstern des Windes in goldgelben Baumkronen zu vernehmen. Licht brach durch das Laub und fiel auf das lächelnde Antlitz eines Mädchens, oder war es ein Engel? Sie reichte ihm die Hand und zog ihn mit sich fort in die Tiefe des Waldes. Doch als er sie umfangen wollte, löste sich ihre Form zwischen seinen Armen auf und ging in eisige Nebelschwaden über, die aus dem Waldgrund aufgestiegen waren. Er zitterte vor Kälte. Die Bäume waren jetzt kahl und grau. Irgendwo in der Ferne vernahm er Schreie, Waffengeklirr, klagende Frauenstimmen. Es klang, als kämpften himmlische Jungfrauen gegen Mächte der Unterwelt. Als er hochschreckte, beklagten sich sofort seine Rippen, so dass er sich wieder zurücksinken ließ. Hatte er geträumt?
Aber jetzt hörte er wirklich etwas. Ein Kampf im Palast der
vescomtessa?
War er schon so geschwächt, dass er Wahnvorstellungen hatte? Nach einer Weile hörte es auf, und er vernahm lange Zeit nichts mehr, außer vereinzelten, aufgeregten Stimmen. Er musste sich wohl getäuscht haben.
Er war durstig, hätte gern etwas von seinem Wasser getrunken, aber das Bedürfnis war nicht dringend genug, um den lästigen Schmerz auf sich zu nehmen, den jede Bewegung verursachte. Fast wäre er wieder eingeschlafen, als der Schlüssel des Wärters ihn auffahren ließ und das grelle Licht einer Fackel ihn blendete. Jemand war in die Zelle getreten, kniete sich neben ihn. Er zuckte unwillkürlich zusammen, denn nun würde die Tortur von neuem beginnen.
»Felipe,
mon filh
«, hörte er die Stimme seines Vaters. »Was haben sie mit dir gemacht?«
»Du hier?«, flüsterte er.
»Wer hat dich so zugerichtet?«
»Ich weiß nicht. Ein Wachmann.« Er merkte, dass er wie eine krächzende Krähe klang, und räusperte sich. Dabei stachen ihn wieder die Rippen. »Auf Tibauts Befehl.«
Jetzt hatten seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt, und er konnte den Vater erkennen. Er sah ihn grimmig nicken. »Natürlich. Tibaut«, hörte er ihn sagen. »War Ermessenda daran beteiligt? Es ist mir wichtig, dies zu wissen.«
Felipe schüttelte den Kopf. »Wenn la Bela nicht wäre, würde er mich noch ganz anders angehen, hat er gesagt.«
»Und was, um Gottes willen, ist mit deiner Hand?«
»Sie haben auf meine Knöchel geschlagen, mit einem Hammer.« Er blickte an sich herab. Die Hand war wie eine aufgeblähte Schweinsblase. »Sieht komisch aus, was?«
»Ach, Felipe. Ich hatte schreckliche Angst um dich«, hörte er seinen Vater sagen und war erstaunt über die sanften Finger, die durch sein Haar strichen, und vor allem über die Liebe in seinen Augen. Plötzlich fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, der er einmal gewesen war, wohl und sicher in den Armen des Vaters. Er konnte den Schluchzer nicht verhindern, der ihm aus der Brust drang. Aber dann riss er sich zusammen.
»Wie kommt es, dass
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