Die Comtessa
sie die alleinige Herrscherin über Narbona. Niemandem mehr war sie Rechenschaft schuldig. Sie schwor sich, alles zu tun, um eine würdige Nachfolgerin ihres Vaters zu werden.
»Weiß Arnaut, dass es nur eine Scheinehe ist?«, flüsterte Felipe ihr während eines weiteren Treffens mit Ramon Berenguer zu. Es ging diesmal um die missliche Vermögenslage der Vizegrafschaft.
Sie schüttelte den Kopf.
»Du hättest es ihm aber sagen müssen.«
»Welchen Unterschied hätte es gemacht? Ich bin verheiratet. Nichts ändert sich an dieser Tatsache.«
Der verständnislose Blick, den er ihr zuwarf, schien zu sagen, sie solle doch gefälligst aufhören, sich selbst zu belügen.
Nein, sie belog sich nicht, dachte sie. Sie wusste, dass eine Verbindung mit Arnaut unstandesgemäß und unter den gegenwärtigen Umständen überhaupt nicht denkbar war. Eine verborgene Liebschaft dagegen kam ihr schäbig vor und ließ sich mit ihrer Würde als Fürstin nicht vereinbaren. Das hatte sie schon seit langem so entschieden. Außerdem wäre es Ehebruch, gleichwohl wie aufgesetzt die Verbindung mit Bernard d’Andusa war. Wenn diese sogenannte Ehe den Fürsten am Herzen lag, so sollte sie auch ihr ein Bollwerk sein, gegen die Sehnsüchte, die sie täglich quälten und oft zu übermannen drohten. Sie war verheiratet. Und es war gut so.
»Was ist dir, meine Liebe? Langweilen wir dich?«, fragte Ramon Berenguer mit einem Lächeln auf den Lippen, als wüsste er genau, was sie plagte.
»Keineswegs. Ich überlege nur, wie lange es dauern mag, bis wir deine großzügige Anleihe zurückzahlen können.«
»Nun, da mache ich mir keine Sorgen, liebe Base. Alles, was du in so kurzer Zeit schon erreicht hast, hat mir bewiesen, dass Narbona in den besten Händen ist. Deshalb war es mir eine Genugtuung, mich im Rat der Fürsten ganz hinter dich zu stellen.«
»Dafür kann ich dir nur immer wieder danken.«
»Sechstausend Mark Silber«, fuhr er fort, »ist natürlich eine enorme Summe, aber Raimon hier hat mich von euren Vorhaben überzeugt. Der Ausbau des Hafens und der Schutz, den eine kleine Kriegsflotte bieten kann, sollten die Zolleinnahmen steigern. Besonders aber gefällt mir der Plan einer neuen, ausgebauten Straße durch die Corbieras. Raimon rechnet ganz überzeugend mit einer Verdoppelung der Wegezölle. Und sie wird auch der Erschließung neuer Siedlungen dienlich sein. Es ist mir deshalb um mein Geld nicht bange.«
Ermengarda nickte höflich, obwohl sie kaum zugehört hatte. Immer noch waren es Felipes Worte, die ihr durch den Kopf gingen und sie aufs Neue in Verwirrung stürzten. Alles, was sie sich erträumt hatte, war erreicht. Doch wie konnte sie auch nur einen Augenblick lang ihren Erfolg genießen – ohne Arnaut? Er, der für sie gekämpft hatte. Sie kam sich schäbig und undankbar vor. Wäre es nicht besser gewesen, ihn zurückrufen zu lassen, ihm alles zu erklären? Aber was dann? Eine Liebe ohne Zukunft? Es war besser, sie zu begraben.
Ach, wie recht hat Ovid, wenn er sagt, dass die Widerspenstigen so viel heftiger und grausamer leiden als solche, die die Knechtschaft Amors willig auf sich nehmen.
Haeserunt tenues in corde sagittae.
In meinem Herzen haften zarte Pfeile.
Als sie es nicht mehr aushielt, stand sie auf und entschuldigte sich mit einer vorübergehenden Unpässlichkeit.
Auch diesmal lächelte der Graf.
***
Zur Bekräftigung aller Abkommen wurde auf der Caularia vor dem Volk von Narbona ein feierlicher Schwur geleistet, bei dem sich Ermengarda und die Fürsten von Carcassona, Besier, Montpelher und andere verbündeten und verpflichteten, die Unabhängigkeit Narbonas hochzuhalten und den Frieden in der Region zu wahren. Alle Fürsten des Landes, mitsamt ihrer ersten Gefolgsleute, traten vor und schworen den heiligen Eid. Als Garanten dieses Friedens bekannten sich gemeinsam Alfons Jordan und Ramon Berenguer.
Auch Menerba, sein Sohn Felipe, der Ritter Roger und andere aus dem Klan der Menerbas leisteten diesen Schwur. Anschließend ließ Menerba seinen Sohn in Narbona zurück und eilte zu seiner Festung in den Bergen. Eine wichtige Angelegenheit war noch zu erledigen.
Niemand, auch nicht Felipe, wusste von Tibauts heimlicher Gefangenschaft. Übel sah er aus, als Menerba vor ihn trat. Kein hochmütiges Wolfslächeln mehr auf seinem Gesicht. Abgemagert und am Ende aller Kräfte hing er in den Ketten. Auch ihm hatte man wie Felipe die Fingerknochen der linken Hand zertrümmert. Damit aber war Menerbas Rachedurst
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