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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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fallen.
    Wie einfach und schön das Leben sein kann, dachte sie.
    Vielleicht hatte Nina recht, und sie war viel zu versessen gewesen, ihr Ziel zu erreichen, hatte kaum noch etwas anderes um sich herum wahrgenommen. Nun war ihr alles gelungen, trotzdem blieb sie unbefriedigt. Sie war nicht mehr die Gleiche wie noch vor sechs Monaten, als sie mit Arnaut, Felipe und den anderen durch die Wälder geritten war. Etwas war seitdem verlorengegangen. Doch was es war, konnte sie nicht sagen.
    Sie blätterte in ihrem geliebten Ovid und traf auf die zerlesenen Seiten ihres Lieblingsgedichts, wunderschön und schamlos zugleich. Aber gerade deshalb liebte sie es.
    »
Aestus erat, mediamque dies exegerat horam
 …« So begannen die vertrauten Verse. Sie sprach die Worte des Dichters leise in der eigenen Sprache.
»Heiß war es, und der Tag schon über die Mittagsstunde vorgerückt; ich streckte meine Glieder auf dem Bett aus, um zu ruhen. Ein Fensterladen war nur leicht geöffnet, der andere geschlossen, ein Licht wie vom Walde, zart wie die Dämmerung, wenn die Sonne entflieht oder wenn die Nacht vergangen, der Tag aber noch nicht angebrochen ist … sieh, da kommt Corinna, gehüllt in eine Tunika ohne Gürtel; das gescheitelte Haar fällt ihr offen über den schneeweißen Hals. So soll die schöne Semiramis in ihr Brautgemach gegangen sein oder Lais, die vielgeliebte. Ich entriss ihr das Kleid, das freilich zu dünn war, um sonderlich zu stören. Sie aber kämpfte, sich damit zu bedecken. Doch da sie wie eine kämpfte, die nicht siegen will, fiel sie mühelos durch eigenen Verrat.«
    Ermengarda ließ das Büchlein auf den Schoß sinken.
    Ach, könnte ich doch nur seine Corinna sein. Mich besiegen lassen, seinen ganzen Leib mit zarten Küssen bedecken, seine Haut schmecken, seinen Atem kosten, in seinem Duft schwelgen, sein Gewicht auf mir spüren und das Gefäß seiner Liebe werden.
    Sie saß noch lange am Fenster, schaute den Fischern beim Ausladen zu, ließ sich von ihren Träumen tragen, bis auch das letzte Sonnenlicht vergangen war.
    Dann sprang sie auf und wanderte unruhig durch den Palast. Das Gedicht wollte ihr nicht aus dem Kopf.
Wie Semiramis in ihr Brautgemach, oder Lais, die vielgeliebte.
Plötzlich hörte sie leises Lautenspiel aus der
aula
klingen. Sie lauschte an der Tür.
     
    Rembra’m d’un amor de loing;
    vauc de talan enbroncs e clis,
    si que chans ni flor d’albespis
    no’m platz plus que l’inverns gelatz.
     
    Vor Sehnsucht nach jener fernen Liebe
    geh ich ganz krumm und gebeugt,
    so dass nichts, weder Gesang noch Weißdornblüte,
    mich mehr erfreut als der so eisige Winter.
     
    Sie öffnete die Tür und fand Rogier allein in einer Ecke sitzen. Er sah sie am Eingang stehen, erhob sich nicht, sondern lächelte ihr nur zu. Sie setzte sich zu ihm.
    »Das ist Rudels Lied«, sagte sie.
    »Über seine ferne Hodierna, die Fürstin von Tripolis.«
    »Er hat sie wirklich nie gesehen?«
    »Nie. Hat nur den Berichten der Pilger gelauscht. Sie soll sehr schön sein. Und ihr Mann ein eifersüchtiges Scheusal.« Er lachte leise. »Sperrt sie angeblich ein wie eine Orientalin.«
    »Wie kann er sie lieben, ohne sie jemals gesehen zu haben?«
    »Er tut es einfach. Tief und innig. In seiner Vorstellung ist sie die edelste und schönste aller Frauen. Ihr widmet er all seine Kunst. Und er schwört, eines Tages wird er sie besuchen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Seltsam.«
    »Nicht gar so sonderlich, meine ich. Wer verliebt ist, stattet den Liebsten doch auch mit Tugenden aus, die er möglicherweise gar nicht besitzt.«
    »Vielleicht.«
    Tat sie das auch? Verklärte sie Arnaut in ihrer Vorstellung?
Jes Maria,
sie wollte nicht schon wieder über Arnaut nachgrübeln.
    »Spiel«, sagte sie, ärgerlich mit sich selbst.
    Aber als er anhob und einen weichen Akkord anschlug, unterbrach sie ihn gleich wieder. »Nein. Spiel nicht.«
    Sie betrachtete seine langen, feingliedrigen Finger auf den Saiten. »Ich muss endlich mit jemandem reden, verdammt.« Und sie hasste sich dafür, dass ihr die Tränen kamen. Er legte seinen rechten Arm um sie, und sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter.
    »Wann geht Ihr endlich zu ihm,
Domina?
«
    Sie fuhr hoch.
    »Ich kann nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Es schickt sich nicht.«
    »Ihr seid die Herrin. Was kümmert’s den Teufel, was die Leute denken?«
    »Eben weil ich die Herrin bin, muss ich über solchen Schwächen stehen. Ich muss ein Vorbild sein.«
    »Ein Vorbild? Seid Ihr so eitel,

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