Die Comtessa
erst an zweiter Stelle nach den Brüdern. Ermengarda von Narbonne, wie auch ihre berühmte Zeitgenossin Eleonore von Aquitanien, erwarb so den Anspruch auf den Titel erst nach dem frühen Tod ihrer beiden Brüder. Erben war eines, doch eine solche Herrschaft auch auszuüben, war eine andere Sache. Frauenherrschaft war zwar durchaus akzeptiert, doch eher als vorübergehende Lösung, als Regentin bei unmündigen Söhnen oder als Kastellanin, wenn sich der Ehemann auf dem Feldzug befand. Ansonsten waren Erbinnen ein begehrtes Ziel für ehrgeizige Männer, und einmal verheiratet, herrschte der Herr Gemahl.
Umso erstaunlicher, dass es Ermengarda in ganz jungen Jahren gelungen ist, sich neben Titel auch die Herrschaft zu sichern, die sie dann eigenständig fünfzig Jahre lang erfolgreich und hochgeachtet ausübte. Sie war eine große Förderin der Troubadour-Kunst und wird in vielen Liedern als außergewöhnliche Schönheit gepriesen. Von einem Wikingerfürsten, der sich auf dem Weg ins Heilige Land befand, ist ein Lied überliefert, das sie als blond beschreibt. Ich habe sie aber eher als dunkelhaarigen Mittelmeertyp gesehen.
Chroniken über Ermengarda gibt es keine, sie selbst hat ja kein Tagebuch hinterlassen, so ist man also auf dürftige Erwähnungen in Urkunden angewiesen. Der Romanerzähler versucht, aus wenigen Fakten eine Geschichte zu konstruieren, wie sie sich hätte abspielen können.
Der Ehevertrag vom 21. Oktober 1142, wie im Roman verbatim zitiert, ist überliefert. Allerdings wurde diese Ehe kurz darauf, nach Gefangennahme Alfons’, wieder aufgelöst. So viel ist nachweisbar. Aufgrund einer Kaufurkunde aus dem Vallespir zu dieser Zeit (mit den im Roman behandelten Unterzeichnern) wird vermutet, dass sie sich durch Flucht dem Grafen von Toulouse entzogen haben könnte. Dies habe ich als Basis für den Roman genommen.
Es hat auch nach Einstellung der Kriegshandlungen jenen Rat der Regionalfürsten gegeben, den nachfolgenden Friedensschwur und die Vermählung mit einem Bernard d’Anduse, der aber fortan nicht mehr in Ermengardas Umgebung aufgetaucht ist, obwohl weiterhin in seiner Heimat urkundlich erwähnt. Daraus schließen Historiker auf eine Scheinehe. Ermengarda hat selbst keine Kinder gehabt, ihre jüngere Schwester wurde wie beschrieben nach Spanien verheiratet. Deren Söhne haben später die Herrschaft in Narbonne angetreten. Die nachfolgenden Vizegrafen hießen dann wie Ermengardas Vater alle Aimeric bis hinein ins 14. Jahrhundert.
Der Troubadour Peire Rogier hat tatsächlich viele Jahre am Hof Ermengardas verbracht, allerdings habe ich ihn einige Jahre vorgezogen. Sein Spitzname für Ermengarda in den Liedern war
Tort-n’avetz,
niemand weiß, warum. Ich habe versucht, dafür eine Erklärung zu finden. Von Jaufré Rudel ist nicht bekannt, ob er sich in Narbonne aufgehalten hat, ist aber durchaus denkbar. Die Geschichten, die ich über ihn erzählt habe, sind tatsächlich so überliefert, ebenso wie seine »ferne Liebe«, Hodierna von Tripolis, die er später (1148) in Begleitung von Alfons Jordan während des ersten Kreuzzugs tatsächlich kennenlernen durfte. Allerdings war er bei seiner Ankunft in Tripolis so todkrank, dass er in ihren Armen verstarb.
Wer Narbonne heute besucht, wird sich wundern, dass die Aude nicht mehr die Stadt durchquert. Nur noch ein bescheidener Kanal, Canal de la Robine, erinnert daran. Vermutlich die für den mittelalterlichen Mühlenbetrieb immer ausgedehnter angelegten Aufstauungen haben zu einer allgemeinen Versandung geführt, so dass sich der Fluss plötzlich im 14. Jahrhundert ein neues Bett weiter nördlich gesucht hat. Der Verlust der Verbindung zur Aude führte zum allmählichen wirtschaftlichen Niedergang der Stadt. Die römische Brücke ist allerdings noch vorhanden, wie Teile der Via Domitia.
Die Namen von Personen und historischen Orten in Südfrankreich habe ich, soweit es sich ermitteln ließ, in mittelalterlichem Okzitan wiedergegeben.
Zuletzt noch ein Wort zum Titel des Buches. Streng genommen war Ermengarda keine Comtessa, aber den Adelstitel Vizegräfin gab es in deutschen Regionen nicht, und Vescomtessa wäre als Romantitel zu unverständlich gewesen. Außerdem sagten solche Titel nicht viel über die Macht und Reichtum eines Adelsgeschlechts aus. Narbona war bedeutender und reicher als manche benachbarte Grafschaft, wie auch ihrerseits die Grafen von Toulouse oder Barcelona den Herzögen von Aquitanien in nichts nachstanden.
Glossar
I m
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