Die Comtessa
zu.
Domna
Anhes war eine entfernte Base des verstorbenen Vizegrafen und lebte seit Ewigkeiten im Palast. Sie hatte mangels einer guten Mitgift, wie sie behauptete, nie geheiratet, denn ihre Familie war arm. Aber jeder wusste, schuld war ihr wenig anziehendes Äußere. Immer schon dünn wie ein Gerippe, mit mausgrauen Haaren, knochigen Wangen und einer viel zu langen Nase, da wunderte es nicht, dass kein adeliger Freier sich für sie hatte erwärmen können. Und unter Stand hatte sie nicht heiraten wollen. Seit vielen Jahren kümmerte sie sich daher um den Haushalt des Palastes, um Gäste und Empfänge, herrschte mit eiserner Hand über Lieferanten und Dienstboten.
»Nicht böse sein, ich komme ja schon«, rief Nina besorgt und riss sich vom Fenster los, denn sie wusste, mit
Domna
Anhes war nicht zu spaßen.
***
Ermengarda mochte die große
aula
des Palastes nicht. Sie war wie eine Höhle und zu eng für die vielen Menschen, die sich heute hineingezwängt hatten. Durch die winzigen Fenster der zum Hof gewandten Seite drang nur spärliches Tageslicht in den Raum, und die Fackeln an den Wänden machten die Luft schwer und stickig.
Die weitaus meisten Anwesenden waren Männer. Alle in erlesenste Gewänder gekleidet, Tuniken, die bis zu den Stiefeln reichten, darüber prächtig gewirkte
sobrecots,
die in langen Falten bis auf die halbe Wade fielen. Trotz des spärlichen Lichts leuchteten Rot-, Grün- und Blautöne, berückten bestickte Seidenborten und blitzten goldene Fibeln, als gäbe es nichts Wichtigeres, als durch den Wert des Gewands seine hohe Geburt zu betonen.
Zu rechter Hand standen die Edelmänner der Vizegrafschaft mit ihren engsten Gefolgsleuten, in vorderster Reihe Bernard de Carcassona, trotz des Namens aus mächtigem, alteingesessenem Geschlecht der Stadt. Auf der linken Seite hatten sich jene versammelt, die dem Erzbischof lehnsverpflichtet waren. Der Prälat selbst hatte sich nicht erniedrigt, zu erscheinen, dafür hatte er seinen Vertrauensmann, den Domdechant Peire de Montbrun, entsandt. Auch
Paire
Imbert, der Abt des Klosters von Sant Paul Serge, war zugegen. Er hatte Ermengarda gerade in der Menge entdeckt und ihr verschmitzt zugezwinkert.
In dieser rußigen Halle, mit der niedrigen, von mächtigen Pfeilern getragenen Decke, hatte Ermengardas Vater regelmäßig seine Feste gefeiert. Es war lange her, aber sie erinnerte sich noch gut daran. Fress- und Saufgelage hatte
Domna
Anhes sie verächtlich genannt, wenn auch heimlich und hinter vorgehaltener Hand.
Die Stiefmutter la Bela dagegen war immer dabei gewesen, und die Kinder hatten oft ihr silberhelles Lachen herausgehört, wenn das Grölen der Zechenden sie nicht hatte einschlafen lassen. Die am Vorabend genossenen Unmengen an Wein hatten Aimerics Tatkraft kaum gemindert, denn für gewöhnlich war er schon frühmorgens, begleitet von Jägern und Hunden, zur Jagd geritten, während Ermessenda bei verdunkelter Kammer lange in den Tag hinein geschlafen hatte.
Eines Tages werde ich eine neue
aula
bauen, gelobte sich Ermengarda. Eine größere, lichte Halle, nicht zum Saufen, sondern für Gesang und Freude geschaffen, ein Ort für Gaukler, Musik und Tanz. Oder einen Garten anstelle des hässlichen Kampfplatzes.
An der Stirnseite des Saales befand sich eine niedrige Estrade, auf der
Vescomtessa
Ermessenda auf einem geschnitzten und bemalten Stuhl thronte. Der Graf von Tolosa saß zu ihrer Rechten, Nina zu ihrer Linken.
Bei förmlichen Anlässen trat die Stiefmutter nur in Ninas Begleitung auf. Ermengarda war wie üblich nicht geladen worden. Überhaupt führte sie ein unbeachtetes Schattendasein, beschränkt auf den Palast, mit wenig Gelegenheit, anderes zu sehen.
Nicht, dass sie sich wirklich zu beklagen hatte. Zwar behandelte la Bela sie kaum wie eine geliebte Tochter, aber doch mit der freundlich strengen Fürsorge, die man einer jungen Nichte oder Base angedeihen ließe. Dabei sah sie es nicht gern, wenn Höflinge sich allzu sehr mit ihr beschäftigten oder sie gar hofierten, und was Kleider betraf, so bewilligte sie meist nur einfache Gewänder oder befahl den Näherinnen, die alten noch ein wenig auszulassen. Nina dagegen war wie ihre Mutter immer erlesen ausgestattet und aufs kostbarste gekleidet.
Ermengarda hatte seit langem beschlossen, ihren Ärger über diese und andere Ungerechtigkeiten nicht zu zeigen, denn seit dem seltsamen Unfalltod ihres geliebten Bruders Aimeric fühlte sie sich wohler, unauffällig im Hintergrund zu bleiben.
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