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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Warum sie so empfand, konnte sie sich nicht erklären, scheute sich auch, darüber nachzudenken. Wer weiß, wohin solche Gedanken führen würden, wenn man sie einmal weckte. An das zurückgezogene Dasein war sie gewöhnt, es gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, bis sie eines Tages berufen würde, ihre Aufgabe zu erfüllen.
    Manchmal erdrückte sie fast die Vorstellung dieser Bürde, die ihr auferlegt war. Als alleinige Erbin der Vizegrafschaft würde sie eines fernen Tages das Erbe des Vaters antreten und hoffentlich Dinge tun können, auf die er stolz gewesen wäre. Dabei zählte sie auf Gottes Hilfe. Und auf
Paire
Imbert, denn ihm allein, ihrem Beichtvater, vertraute sie ihre geheimen Gedanken an.
    Im Gedränge drückte sie sich neben dem Durchgang zur Küche an die Wand, zwischen einem Wachmann und
Domna
Anhes, die mit scharfem Blick und kurzen Anweisungen überwachte, dass die hohen Herrschaften zügig mit Erfrischungen bedient wurden.
    Jeder der Männer von Stand, die darauf erpicht waren, dem Grafen Honig ums Maul zu schmieren, trat vor, um mit einer kleinen Ansprache dessen Rückkehr zu würdigen. Ermengarda dröhnte schon der Kopf von den höflichen, aber ermüdenden Plattheiten, in denen sie sich gefielen. Aber sie kannte das Getue schon von anderen Gelegenheiten. Es schienen stets dieselben zu sein, die sich wie Gockel aufplusterten und mit ernsten Mienen Nichtssagendes von sich gaben.
    Und wie immer wurden die Vertreter des Bürgerstands zuletzt gehört. Doch da ging es ihnen immer noch besser als den reichen Juden, die zu solchen Anlässen nicht einmal geladen wurden, obwohl ihr Geld, wie Ermengarda von Felipe wusste, so manchen Adeligen über Wasser hielt. Die Bürger also drängten sich am Ende der Halle, kaum dass man ihnen ausreichend Platz gewährte. Auch sie waren sorgfältig gekleidet, wenn auch weniger auffällig, wie es ihrem Stand gebührte. Im Gegensatz zu den Männern des Adels trugen sie ihre Haare kurzgeschnitten und vermieden Gold und Edelsteine, als fürchteten sie Neid und Missgunst der höheren Stände.
    Nun trat einer unter ihnen vor. Ermengarda reckte den Hals, um ihn besser sehen zu können. Bardine Saptis war ein hochgewachsener, hagerer Mann mit schlohweißem Haar. Schon oft hatte er bei Verhandlungen mit Genua und Pisa so manche Handelsvorteile für Narbona herausgeschlagen. Er vertrat das reiche Bürgertum in seiner Rolle als Erster Konsul des Rates der Stadt, eine Einrichtung, die Ermengardas Vater den Kaufherren widerwillig und erst nach Jahren zähen Ringens zugestanden hatte.
    »Auch ich«, hob er an, »im Namen des Rates und der Bürger dieser Stadt, grüße Euch,
Mossenher,
und möchte gleichzeitig unser tiefes Beileid über den Tod Eurer Gemahlin ausdrücken. Wir alle beten für sie täglich. Möge der Herr ihre Seele aus dem
purgatorium
befreien und in sein Himmelreich führen.«
    Pflichtgemäß setzten bei diesen Worten die Männer der ersten Reihe eine gebührende Trauermiene auf. Auch Alfons rang sich ein gequältes Kopfnicken ab, jedoch schien ihn eher das lange Gerede zu langweilen.
    »Ich danke Euch,
Maistre
Bardine, und weiß es zu schätzen«, sagte er in einem Tonfall, der deutlich machte, dass Bardine entlassen war. Damit wandte er seine Aufmerksamkeit erneut der Frau an seiner Seite zu.
    La Bela schien ihren Beinamen heute besonders zu verdienen. Über einer taubengrauen, unter der Brust eng geschnürten Tunika, die in feinen Falten um den schönen Leib floss, trug sie ein nachtblaues Obergewand, an den Rändern mit feinem Goldfaden bestickt, mit Schleppe und tiefhängenden Ärmeln versehen. Ein langer, durchsichtiger Schleier, den ein schmaler Goldreif am Platz hielt, bedeckte in vorgetäuschter Keuschheit das flammende Haar, das ihr darunter bis auf den Rücken fiel. Nicht nur, dass sie sich besonders herausgeputzt hatte, sie leuchtete förmlich vor Liebenswürdigkeit und Frohnatur und schien alle Welt mit ihrem heiteren Wesen bezaubern zu wollen, besonders Alfons, dem dieses betörende Spektakel ganz offensichtlich gefiel.
    Aber Bardine Saptis war noch nicht zu Ende. Er wagte es sogar, noch einen Schritt vorzutreten.
»Mossenher lo Coms«,
sagte er mit ruhiger, aber fester Stimme. »Dürfen wir hoffen, dass Ihr die Schuldigen bestrafen werdet?«
    Alfons riss sich widerwillig von la Bela los, die ihm gerade lächelnd etwas zugeflüstert hatte.
    »
De que parla?
Welche … Schuldigen?« Ärgerlicherweise musste er sich erst zusammennehmen, ehe er das letzte

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