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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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waren einander schnell verfallen und hatten heimlich geheiratet, als ein Kind unterwegs war. Nie hatten sie voneinander gelassen, auch wenn sie, aufgrund seines Priesterstandes, nicht zusammen hatten leben können. Eine tiefe, wahre Liebe, die alles überdauerte, Trennung, Krankheit und Alter, den Hass der Verwandtschaft, ja sogar Abaelardus’ Entmannung als Strafe für seine Liebe zu Heloise. Letztere Tatsache behielt Bruder Aimar allerdings für sich, mit Rücksicht auf Ermengardas zarte Jugend.
    »Und leben sie noch immer?«
    »Heloise ist Äbtissin in einem Kloster. Er aber ist dieses Jahr im April einer schweren Krankheit erlegen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Ich hatte das große Glück, Vorlesungen des Meisters besuchen zu dürfen. Für mich war er der größte Philosoph seit Augustinus. Aber sein Versuch, den Glauben durch die Vernunft zu erklären, hat den hohen Herren nicht geschmeckt. Anstatt die Welt erst durch den Glauben zu verstehen, so wie es uns von Augustinus überliefert ist, gingen Abaelardus’ Gedanken in eine ganz andere Richtung. Bei ihm heißt es:
Nihil credendum, nisi prius intellectum
 – nichts ist zu glauben, wenn es nicht auch durch die Vernunft verstanden ist. Doch solches Denken ging ihnen zu weit. Das war offene Auflehnung gegen die absolute Glaubensherrschaft. Am Ende haben sie ihn gebrochen.«
    »Davon verstehe ich leider gar nichts«, sagte Ermengarda und kam sich dumm vor. »Aber ich würde gern lernen.«
    »Gott hat die Vernunft erschaffen, und alles in Seiner Schöpfung folgt den Regeln dieser Vernunft. Warum sollte Er sich selbst dieser Vernunft entziehen? Gott selbst ist Vernunft. Da ist kein Widerspruch.«
    »Ich verstehe«, sagte sie, obwohl ihr verwirrter Gesichtsausdruck sie Lügen strafte.
    »Ich arbeite an einer Verteidigung seiner Thesen. Im Geheimen, versteht sich, denn für eine Veröffentlichung ist die Zeit noch nicht gekommen. Vielleicht haben wir einmal Gelegenheit, meine Arbeit zu besprechen.«
    Am Abend suchten sie sich erneut ein stilles Plätzchen für ihr Nachtlager und fanden diesmal eine Waldlichtung, an einem Bach gelegen, mit gutem Gras für die Pferde.
    Raimon klagte über Schmerzen. Die Wunde war gerötet und geschwollen. Doch mehr als sie auswaschen und neu verbinden konnten sie nicht für ihn tun. Felipe war um seinen Freund bemüht, richtete ihm das Lager und suchte, es ihm so bequem wie möglich zu machen. Trotz seiner sonst so selbstsicheren und unbekümmerten Art schienen Selbstvorwürfe an ihm zu nagen. War er es doch gewesen, der Raimon überredet hatte, bei diesem Unterfangen mitzumachen.
    Ermengarda nahm den Sattel ab und führte den Wallach zur Tränke. Obwohl sie sich am Bach Hände und Gesicht wusch, fühlte sie sich nach dem langen Ritt unsauber. Das Haar strähnig, ein Fingernagel schmerzhaft eingerissen und die Glieder so steif, dass sie kaum gehen konnte, nicht zu reden von ihrem sattelwunden Hinterteil. Auch die dreckbespritzten Stiefel und verschwitzten Kleider waren nicht angetan, ihre Stimmung zu heben. Dies war etwas anderes als die vergnüglichen Ausritte und gelegentlichen Falkenjagden, an die sie gewöhnt war. Sie unterdrückte ein Stöhnen, als sie sich steif auf einem moosbewachsenen Stein niederließ. Auf keinen Fall wollte sie sich anmerken lassen, wie abgekämpft und müde sie war.
    Jori sammelte trockene Äste, und Severin zündete ein kleines Feuer an, an dem sie sich wärmen konnten. Er füllte einen zerbeulten Topf mit Wasser, warf Bohnen, zerkleinerte Rüben und Speckwürfel hinein, fügte Salz und getrocknete Kräuter hinzu.
    Als das Essen fertig war, reichte er ihr einen dampfenden Zinnbecher voll und ein Stück Brot. Sie tauchte den Löffel in die Suppe und schlürfte vorsichtig daran. Auch wenn sie sich die Zunge verbrannte, keine Mahlzeit hatte jemals so gut geschmeckt. In der untergehenden Sonne beobachtete sie Arnaut, der zurückgezogen am Waldrand saß, an einen Baum gelehnt, die Augen geschlossen. Seine Lippen bewegten sich in stiller Andacht. Er sah so friedlich aus.
    Diesmal schien es Ermengarda erträglicher, im Wald zu übernachten. Vielleicht war sie einfach zu müde, um sich zu fürchten. Sie verzichtete auf Joris Gesellschaft, hüllte sich stattdessen in den warmen Mief ihrer Pferdedecke. Vor dem Einschlafen dachte sie noch an junge Krieger und Cupidos Pfeile und darüber nach, ob Gott ihr wohl gewähren würde, einen Mann ihr ganzes Leben lang zu lieben. Wie Heloise.
    ***
    Die Pferde standen gesattelt

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