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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
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nicht versteht. Einen Schatten, mit dem sie fast zusammengestoßen wäre. Aber er ist betrunken, ist nicht gefährlich. Sie macht einen Bogen um ihn, verschwindet hinter einer Ecke. Wo ist die Stadt? Das Zentrum? Der Hafen? Vor ihr liegt eine breite Straße, die in einer breiten Brücke endet. Sie wagt nicht über diese Brücke zu gehen, die ist so offen, so hell. Wo sind die engen Gassen, wo ist eine Stadtlandschaft, mit der sie sich auskennt? Mietskasernen weichen Einfamilienhäusern, die Straße endet mit einer weiteren Brücke. Einer schmalen Fußgängerbrücke. Mitten über die Brücke fährt ein Junge auf einem Rad, zwei große Fahrradtaschen an jeder Seite, er ist zu müde, um auf sie zu achten. Vor ihr ragt eine Kirche auf, hinter der Kirche sieht sie Hafenlichter und Meer. Dorthin. Einmal huscht sie hinter ein paar Sträucher, ein Auto kommt vorbei, ein Taxi. Es fährt zu einem Restaurant, davor stehen Autos und Motorräder, durch die hellen Fenster sind fast nur Männer zu sehen. Die Umgebung hier ist so offen, es kann nicht der richtige Hafen sein. Sie lässt sich auf eine Bank sinken, ein Stück außerhalb des das Lokal umgebenden Lichtfeldes. Als sie dann dort sitzt, fängt das Zittern an, sie kann es nicht unter Kontrolle bringen. Und der Schweiß strömt ihr über Gesicht und Hals, lässt ihre Wunden brennen. Der Essensgeruch aus dem Lokal kann durchaus Einbildung sein, sie hat keinen Hunger. Nur Durst. Entsetzlichen Durst. Die Schuhe sind ein wenig zu groß, deshalb hat sie schon Blasen. Aber sie hat sie ausgetrickst, sie ist ihren Spritzen entkommen. Das ist ihr letzter Gedanke, ehe ihr Kopf mit leisem Klatschen auf der Bank landet. Vor ihrem inneren Auge jedoch taucht das Bild von jemandem auf, der im Schatten steht und sie beobachtet.

10
    Er hatte sie einfach unter den Arm genommen und auf das Motorrad gehoben, hatte sich ihre Arme um die Taille gelegt und den Motor angeworfen. Er fuhr nicht schnell, fuhr auch nicht weit. Wie lange war sie wohl bewusstlos gewesen? Lange genug, um zu vergessen, wo sie war, um nicht zu begreifen, dass sie das war, die hier auf einer Bank lag und in ein fremdes Gesicht starrte. Er stellte eine Frage, noch eine. Am Ende verstand sie zwei Wörter, »country« und »from«. Sie antwortete »Polish«. Dann hob er sie auf sein Motorrad. Er hatte nicht einmal nach ihrem Namen gefragt.
    Jetzt befinden sie sich an einem seltsamen Ort. Und sie weiß nicht, ob Tag oder Nacht ist. Der Raum, in dem sie sich aufhält, besitzt nur eine Luftklappe. Er hat sie allein schlafen lassen, wie lange, weiß sie nicht. Sie ist aufgewacht und wieder eingeschlafen, aufgewacht und hat gierig aus den Colaflaschen getrunken, die er vor ihr Bett gestellt hat. Einmal wurde die Tür geöffnet, sie sah mehrere Gestalten. Die sahen schrecklich aus. Lederjacken und Jeans. Stiefel. Sie musterten sie, redeten miteinander. Als sie kehrtmachten und das Zimmer verließen, begriff sie, wer sie waren. Denn jetzt trug auch er eine andere Jacke als die, an die sie sich auf dem Motorrad angelehnt hatte. Jetzt sah sie das Emblem. Waren diese Männer der Feind? Der, der sich über die Krankenhaustreppen schlich, durch den Flur, mit einer Spritze in der Hand? Nein, dann hätten sie sie schon längst umgebracht.
    Dann brachte er ihr neue Kleider, durchsuchte die, die sie bisher getragen hatte, stülpte sie um. Aber die Visitenkarte, die sie in den Schuh gesteckt hatte, fand er nicht. Er brachte ihr etwas zu essen, forderte sie zum Essen auf. Sie erbrach sich. Aber er gab nicht auf, er stopfte ihr Essen in den Mund, zwang sie zum Schlucken. Und erneuerte ihren Verband, desinfizierte die Wunde und kümmerte sich um sie. Sie fing an, sich sicher zu fühlen, sah langsam ein, dass die, die es auf sie abgesehen hatten, die sie umbringen wollten, hier keinen Zutritt hatten. Sie versank in eine Art Dämmerzustand, aß, schlief, hörte Musik auf einem kleinen CD-Gerät mit Kopfhörern, wurde in eine Art Musik hineingezogen, wie sie sie noch nie gehört hatte. In Gedanken nannte sie ihn Andrej, er hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit ihrem großen Bruder. Auch er war aufreizend nicht-anwesend, zerstreut und einfach nicht zum Reden zu bringen.
    Der neue Andrej will nicht, dass sie weint. Dann geht er weg, geht durch die Tür, aus der sie einmal verstohlen hinausgelugt hat. Einmal, als er vergessen hatte abzuschließen. Der Anblick ließ ihr Herz fast stillstehen. Ein langer Tresen, jede Menge Männer und einige Frauen. Da

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