Die Corleones
Interessantes zu sehen. Schließlich wandte er sich wieder zu Vito um und nickte.
Beide Männer schwiegen, es war alles gesagt, was von Bedeutungwar. Trotzdem war Vito überrascht, wie stark die Gefühle waren, die er empfand, während er Luca betrachtete, das ruinierte Gesicht und die stumpfen Augen. Der große Mann schien in sich zusammengefallen zu sein, bei lebendigem Leibe in seinem mächtigen Gefäß aus Fleisch und Knochen beerdigt, als wäre das, was ihn wirklich ausmachte, in ihm gefangen wie ein Junge, der sich in einem dunklen Gebäude verirrt hatte. Zu seiner eigenen Überraschung streckte Vito den Arm aus und berührte Lucas Finger – zögerlich erst, dann packte er sie mit beiden Händen. Er wollte sprechen, Luca erklären, dass ein Mann lernen musste, manche Dinge zu vergessen, dass manchmal Dinge geschahen, die nicht einmal Gott der Herr verzeihen konnte – und dass einem nichts anderes übrig blieb, als nicht mehr an sie zu denken. Aber nicht ein Wort kam ihm über die Lippen. Stattdessen hielt er nur Lucas Hand umklammert und schwieg.
Als Vito ihn berührte, stieß Luca einen Laut aus, der fast ein Keuchen war, und in seine Augen kehrte wieder etwas Leben zurück, so dass sie einen Moment lang wie die eines kleinen Jungen aussahen. »Meine Mutter ist tot«, sagte er, als hätte er es gerade erst erfahren und stünde unter Schock. »Kelly ist tot«, fügte er hinzu, und wieder wirkte er völlig überrascht.
»
Sì «
, sagte Vito, »und das musst du aushalten.«
Tränen traten Luca in die Augen, und er wischte sie sich unwirsch mit dem Unterarm fort. »Sagen Sie«, murmelte er, »sagen Sie nie …«
»Versprochen.« Vito wusste genau, was Luca meinte – er wollte, dass die Tränen ihr Geheimnis blieben. »Du kannst mir vertrauen.«
Luca hatte die ganze Zeit zu Boden geschaut, und jetzt hob er den Blick und sah Vito in die Augen. »Zweifeln Sie … nie an mir«, sagte er. »Zweifeln Sie … nie an mir – Don Corleone.«
»Gut«, sagte Vito und ließ Lucas Hand los. »Und jetzt verrate mir: Wer sind die Kerle, die Giuseppe den ganzen Ärger gemacht haben?«
»Ja«, sagte Luca und erzählte Vito alles, was er wusste.
17.
Während sich der Packard auf der Hester Street langsam dem Lagerhaus seines Vaters näherte, starrte Sonny zum Fenster hinaus. Männer und Frauen eilten geschäftig die Straßen entlang. Clemenza war am Steuer und ließ den Wagen langsam über das Pflaster rollen, während Vito schweigend auf dem Beifahrersitz saß. Sonny konzentrierte sich darauf, den Mund zu halten und Clemenza nicht an die Gurgel zu springen, der ihn wie den letzten Dreck behandelte, seit er bei Leo’s aufgetaucht war und ihn aus der Werkstatt geschleift hatte. Sein Vater hatte bisher noch kein Wort gesagt. Clemenza hatte Sonny am Arm hinter sich hergezerrt und ihn auf die Rückbank des Packard befördert. Sonny war von der Massigkeit und Kraft des fetten Mannes so überrascht gewesen und so bestürzt darüber, wie er behandelt wurde, dass er nicht reagierte, bevor er im Wagen saß und seinen Vater auf dem Beifahrersitz sah. Als er wütend gefragt hatte, was zum Teufel das sollte, hatte ihm Clemenza erklärt, er solle die Klappe halten, und als er seine Frage wiederholt hatte, hatte Clemenza ihm den Griff seiner Pistole gezeigt und ihm gedroht, er würde ihm damit eins überziehen – und die ganze Zeit über hatte Vito geschwiegen. Er schwieg jetzt immer noch und hielt die Hände im Schoß, während Clemenza den Wagen vor dem Lagerhaus parkte.
Clemenza öffnete die Hecktür. »Halt bloß die Klappe, Junge«, flüsterte er dicht an Sonnys Ohr, als dieser ausstieg. »Du steckst ganz schön in der Scheiße.« Vito wartete bereits auf dem Gehsteig, den Mantel eng um die Schultern geschlagen.
»Was hab ich angestellt?«, fragte Sonny. Er hatte nur seinen mit Ölflecken übersäten Overall aus der Werkstatt an, und die Kälte zwickte ihn an Nase und Ohren.
»Komm einfach mit«, sagte Clemenza. »Reden kannst du nachher noch genug.«
Als sie vor der Eingangstür standen, ergriff Vito zum erstenMal das Wort. Was er sagte, hatte jedoch nichts mit Sonny zu tun. »Ist Luca draußen?«, fragte er Clemenza.
»Seit gestern Abend. Er hat sich mit ein paar von seinen Jungs getroffen.«
Sonny war wie vom Donner gerührt. Luca Brasi! Bevor er sich jedoch darüber klarwerden konnte, was das bedeutete, befand er sich im Inneren des Lagerhauses und sah sich fünf Stühlen gegenüber, die vor einem Stapel Kisten mit
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