Die Corleones
ich.«
»Das glaube ich nicht.« Vito wandte den Blick ab und fuhr sich mit den Knöcheln übers Kinn. »Ich muss an alle denken, Santino. An Tessio und Clemenza und ihre Männer, an ihre Familien. Ich bin für sie verantwortlich.« Er hielt inne und suchte nach den passenden Worten. »Ich bin für alle verantwortlich – für unsere ganze Organisation, für jeden Einzelnen.«
»Klar«, sagte Sonny und kratzte sich am Kopf. Wenn er doch nur wüsste, wie er seinen Vater überzeugen konnte, dass er ihn verstand.
»Was ich damit sagen will«, fuhr Vito fort und zupfte an seinem Ohr, »du musst lernen, nicht nur das zu hören, was gesagtwird, sondern auch das, was zwischen den Zeilen steht. Glaube mir, ich bin für alle verantwortlich. Für alle!«
Sonny nickte, und zum ersten Mal wurde ihm klar, dass er vielleicht doch nicht verstand, was sein Vater ihm sagen wollte.
»Du musst tun, was ich dir sage«, erklärte Vito, wobei er erneut jedes Wort betonte, als würde er mit einem Kind sprechen. »Und zwar
nur
das, was ich dir sage. Ich kann mir nicht auch noch Sorgen machen, ob du gleich wieder etwas Unbeherrschtes sagst oder tust, Santino. Du arbeitest jetzt für mich – und ich sage dir, du wirst nichts sagen oder tun, außer jemand fordert dich dazu auf, ich oder Tessio oder Clemenza. Hast du das begriffen?«
»Ja, ich glaube schon.« Sonny dachte einen Augenblick nach. »Du möchtest nicht, dass ich dir in die Quere komme. Du musst dich um einige wichtige Angelegenheiten kümmern, und da kannst du dir keine Sorgen machen, ob ich irgendwelche Dummheiten begehe.«
»Ah«, sagte Vito und klatschte lautlos in die Hände.
»Aber Pa«, sagte Sonny und beugte sich vor. »Ich könnte …«
Vito packte seinen Sohn fest am Kinn und sah ihn an. »Du bist ein
bambino
. Du hast von nichts eine Ahnung. Und wenn du irgendwann kapierst, wie wenig du weißt, dann fängst du vielleicht endlich an zuzuhören.« Er ließ Sonny los und strich sich durchs Haar. »Zuhören«, sagte er. »Das wäre ein Anfang.«
Sonny stand auf und drehte seinem Vater den Rücken zu. Sein Gesicht war rot angelaufen, und wenn irgendjemand das Pech gehabt hätte, vor ihm zu stehen, hätte er ihm den Kiefer gebrochen. »Ich verschwinde jetzt besser«, sagte er zu seinem Vater, ohne ihn anzuschauen. Vito nickte, und Sonny erwiderte diese Geste, als hätte er es gesehen. Dann ging er hinaus.
Im Schein der Straßenlampe an der Ecke vom Paddy’s verbeugte sich Pete Murray übertrieben tief und vollführte eine ausholende Bewegung mit der linken Hand. Eine stämmige ältere Frau in einem knöchellangen Kleid stemmte die Hände in die Hüften, warf den Kopf in den Nacken und lachte, bevor sie davonschlenderte.Nach wenigen Schritten drehte sie sich um, sah Pete an und sagte etwas, über das wiederum er lauthals lachen musste. Cork beobachtete das alles von der anderen Straßenseite aus. Er stand hinter dem Wagen eines Scherenschleifers, an dessen Ladefläche ein großes Schleifrad befestigt war. Der Vormittag war noch nicht weit fortgeschritten, die Frühlingssonne tauchte alles in ihr helles Licht. In der ganzen Stadt holten die Leute ihre leichten Jacken hervor und räumten die Wintersachen weg. Cork trat hinter dem Wagen hervor, rief Petes Namen und eilte zu ihm hinüber.
Pete begrüßte Cork mit einem Lächeln. »Freut mich, dass du Zeit für uns hast«, sagte er und legte Cork einen kräftigen Arm um die Schulter.
»Klar doch«, erwiderte Cork. »Wenn Pete Murray mich auf ein Bier einlädt, überleg ich nicht lange.«
»So ist’s brav! Wie geht’s Eileen und der Kleinen?«
»So weit ganz gut. Die Bäckerei läuft ordentlich.«
»Für was Süßes haben die Leute immer ein paar Pennys übrig, sogar wenn die Zeiten schlecht sind.« Pete sah Cork mitfühlend an. »Das mit Jimmy ist eine verdammte Schande. Er war ein braver Kerl und außerdem auch noch klug.« Als wollte er nicht länger bei diesem traurigen Thema verweilen, fügte er hinzu: »Aber das ist deine ganze Familie, hab ich recht?« Er schlug Cork gutmütig auf die Schulter. »Ihr habt den meisten Grips hier im Viertel.«
»Da wär ich mir nicht so sicher.« Bis zum Paddy’s waren es nur noch ein paar Schritte, und Cork bedeutete Pete, er solle stehen bleiben. Auf der Straße fuhr langsam ein grün-weißer Streifenwagen vorbei, und ein Polizist starrte heraus, als wollte er sich Corks Gesicht ganz genau einprägen. Pete tippte sich an den Hut, der Polizist nickte, und der Wagen
Weitere Kostenlose Bücher