Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
hätte sie gewusst, dass ihre Zwillingsschwester sich früher oder später an ihren Vorräten bedienen und bei der Auswahl Hilfe benötigen würde.
Melissa stellte die ausgewählten Kühlboxen auf den Tresen und warf noch einmal einen Blick ins Esszimmer, um sich zu verabschieden. Die Kartenspieler waren nach wie vor angezogen und sahen so normal aus, dass sie fast glaubte, sich das berüchtigte Krocketspiel hinter dem Garten nur eingebildet zu haben. Vielleicht verlor sie tatsächlich den Verstand.
„Bis dann“, rief sie den Gästen zu und wunderte sich, dass ihre Wangen glühten, als sie in die Küche zurückkehrte. Ihren Wagen hatte sie in weiser Voraussicht in der Gasse hinter dem Grundstück abgestellt, damit sie nicht vorn auf die Straße gehen musste, wo sie möglicherweise von irgendwelchen Nachbarn angesprochen und aufgehalten worden wäre. Im Moment stand ihr einfach nicht der Sinn danach, sich irgendwelchen Tratsch anzuhören.
Am Supermarkt legte sie einen Zwischenstopp ein, um Vanilleeis und einen fertigen Spinatsalat zu kaufen.
Als sie anschließend zu Hause eintraf, arbeitete Byron mit nacktem Oberkörper im Garten und beschnitt den Ahorn.
Nathan Carter, ein Aussteiger mit einer langen Vorgeschichte an kleineren Vergehen, der weiter nicht viel vorweisen konnte, saß im Schneidersitz auf dem noch nicht gemähten Rasen und sah ihm dabei zu.
„Ich dachte, vor morgen schaffen Sie es nicht, sich um meinen Garten zu kümmern“, sagte sie zu Byron, während sie Nathan einen fragenden Blick zuwarf. „Sie mussten sich doch noch um den Koiteich der Crocketts kümmern.“
Nathan erwiderte ihren Blick und grinste breit. Sie hatte ihn noch nie leiden können. Er schien sich für eine Reinkarnation von James Dean zu halten und gab den Rebellen, ohne so recht zu wissen, wogegen er eigentlich rebellierte.
Soweit sie wusste, hatte er keinen Job und besaß weder ein Auto noch ein Dach über dem Kopf. Er kam und ging, wie es ihm gefiel, übernachtete auf der Seitenveranda am Haus seiner Cousine Lulu und stiftete so viel Unruhe, wie er nur konnte.
Der nass geschwitzte Byron unterbrach seine Arbeit und fuhr sich mit dem Arm über die Stirn. Seine Augen hatten einen etwas skeptischen und zugleich sonderbar hoffnungsvollen Ausdruck, während er Melissa ansah und flüchtig nickte. „Ist schon erledigt. Die Fische sind zurück im Teich und schwimmen fröhlich umher. Ich komme morgen früh wieder her, um den Rest zu erledigen, aber ich dachte mir, ich stutze heute Abend schon mal diese Zweige.“
Melissa sah erneut kurz Nathan und dann wieder Byron an und fühlte sich versucht, ihren vorübergehenden Gärtner darauf aufmerksam zu machen, dass er darauf achten sollte, mit wem er seine Zeit verbrachte, solange er noch auf Bewährung aus dem Gefängnis war.
„Der gute Byron ist ein bisschen knapp bei Kasse“, warf Nathan ein.
„Ich könnte Ihnen einen kleinen Vorschuss zahlen“, schlug sie vor, was beide Jungs gleichzeitig reagieren ließ.
„Cool“, meinte Nathan in einem schmierigen Tonfall, der zu seinem mausbraunen Haar und seiner schmutzigen Kleidung passte.
„Ich hätte kein gutes Gefühl, wenn ich jetzt schon Geld annehme“, erklärte Byron dagegen und schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Nicht solange ich meine Arbeit nicht erledigt habe.“
Unwillkürlich fragte Melissa sich, ob der Junge im Gefängnis geläutert worden war oder ob sie sich damals so sehr in ihm getäuscht hatte. An seiner Schuld hatte es nie den geringsten Zweifel gegeben, aber vielleicht hatte Velda doch recht gehabt.
Womöglich hätte sie ihn in eine Entzugsklinik schicken sollen statt ins Gefängnis … Nein, sie hatte seinen Fall aus allen Blickwinkeln betrachtet, mit Experten gesprochen und nachts wach gelegen. Ihre Entscheidung war aus ihrer Sicht richtig gewesen, und es war vertane Zeit, sie jetzt auf einmal anzuzweifeln.
Ihre Gedanken wanderten zu ihren Gästen, die in ein paar Stunden kommen würden. Nathan war augenblicklich vergessen, und sie fühlte sich prompt wieder besser.
Die Kälte von den Behältern mit dem tiefgekühlten und allmählich auftauenden Essen durchdrang Melissas Top. Außerdem wollte sie noch ein wenig aufräumen, etwas anderes anziehen – nichts zu Aufdringliches –, sich frisieren und ein bisschen schminken. Ein Hauch Mascara, etwas Lipgloss, das sollte es auch schon sein.
Und
vielleicht
noch ein paar Tropfen Parfum.
Die Aussage, die sie damit vermitteln wollte, lautete „Willkommen
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