Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
sie sich. „Und was war mit dem Rest des Jahres?“
„Boston.“ Mehr sagte er nicht, nur „Boston“. Das eine Wort kam knapp und abgehackt über seine Lippen.
„Da war ich ein paarmal. In Boston, meine ich. Eine schöne Stadt. Mir hat vor allem der Stadtpark gefallen. Und die Schwanenboote.“
Steven entspannte sich, doch Melissa merkte ihm an, dass es ihn Mühe kostete. Unwillkürlich überlegte sie, von welchem Schlag wohl der Rest der Creed-Familie sein mochte, allen voran natürlich seine Eltern. Sie kannte den Montana-Ableger der Familie – Logan, Dylan und Tyler – vom Besuch der drei bei ihren McKettrick-Cousins auf der Triple M nahe Indian Rock. Keiner von ihnen hatte eine leichte Kindheit gehabt, daran bestand kein Zweifel, und doch waren sie alle anständige Männer geworden.
Die Erfahrung hatte Melissa gelehrt, dass gewisse Probleme eine Persönlichkeit nur stärker machten. Sie und Ashley waren dafür genauso ein Beweis wie Brad und Olivia. Ihre Mutter Delia hatte die Familie im Stich gelassen, als die Kinder noch klein gewesen waren. Später war dann auch noch ihr Dad ums Leben gekommen, ein Mann, der zwar wenig Worte gemacht hatte, aber eine konstante Größe in ihrer Kindheit gewesen war.
„Nach dem Tod meines Großvaters und meiner Mutter hatten meine Onkel in der Firma das Sagen. Dadurch hat Boston für mich viel von seinem Charme verloren.“
So angenehm das Café auch war, bot es nicht den richtigen Ort, um über so schwerwiegende Dinge zu sprechen.
Melissa fand, dass jetzt nicht der Moment war, um dieses Thema zu vertiefen. „Werden wir unsere Freundschaft rund ums Essen aufbauen, Steven Creed?“, fragte sie ihn. „Es sieht ja ganz so aus, als würden wir ziemlich oft gemeinsam essen.“
Steven schaute zu Tessa und gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass sie die Rechnung bringen sollte. Dann wandte er sich wieder Melissa zu und lächelte sie an. „Ich möchte gern mehr Zeit mit dir verbringen“, erklärte er unumwunden. „Und hier auf dem Land scheint dazu auch immer eine Mahlzeit zu gehören.“
Eine der Kellnerinnen brachte die Rechnung, da Tessa mit einem ganzen Schwung neuer Gäste beschäftigt war, die eben das Lokal betreten hatten. Steven bezahlte und schüttelte den Kopf, als die junge Frau ihm das Wechselgeld herausgeben wollte.
Einige Leute schauten ihnen nach, als sie das Café verließen, aber das hatten sie auch schon gemacht, als sie mit Steven hereingekommen war. Melissa war daran gewöhnt, denn Stone Creek war im Grunde auch anderthalb Jahrhunderte nach der Ankunft der ersten Siedler immer noch ein Kaff.
„Danke fürs Essen“, sagte sie, als sie auf dem Fußweg vor dem Café standen.
Steven sah sich um, vermutlich suchte er nach ihrem Wagen. „Ich könnte dich zum Büro fahren“, bot er ihr an. „Mein Truck steht gleich um die Ecke.“
„Schon okay“, erwiderte sie lächelnd. „Ein Spaziergang wird mir guttun.“
Er schien davon zwar nicht überzeugt, widersprach ihr aber nicht. „Und? Darf ich dich gegen sechs erwarten?“
Während sie nickte, fragte sie sich, wann genau sie eigentlich ihren Verstand verloren hatte. Es musste passiert sein, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie bis dahin all ihre Sinne unter Kontrolle gehabt hatte.
Der Spaziergang zurück zum Büro dauerte nicht lange, und Melissa fühlte sich dabei nicht besser als auf dem Hinweg. Wäre sie keine sture O’Ballivan gewesen, hätte sie sich Toms ursprünglichen Vorschlag zu Herzen genommen und wäre nach Hause gefahren, um ein paar Schmerztabletten zu schlucken und sich ins Bett zu legen.
Als sie das Büro erreichte, stand Adelaide Hillingsley im Vorzimmer und unterhielt sich mit Andrea.
„Ich bin wegen dieser Toilettenpapiergerüchte hier“, verkündete die Frau im mittleren Alter, kaum dass sie Melissa entdeckt hatte. Adelaide war leicht pummelig. Sie hatte feines rötliches Haar, leuchtende nussbraune Augen und stets gute Laune. Ihre Familie reichte – wie die von Bea – bis zu den ersten Siedlern von Stone Creek zurück.
Nur mit Mühe konnte Melissa verhindern, dass sie nicht abgrundtief seufzte und die Augen verdrehte. War eigentlich
irgendwem
in der Stadt klar, dass es sich hier um das Büro der Staatsanwältin handelte und nicht um das offizielle Hauptquartier des Paradekomitees?
Resigniert deutete sie auf die Tür, die zu ihrem Büro führte.
„Soll ich Kaffee bringen?“, meldete sich Andrea gut gelaunt zu
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