Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
winzigen Garage und nicht auf der Straße oder in der Auffahrt. Dankbar nahm sie zur Kenntnis, dass noch keiner ihrer Nachbarn aufgestanden zu sein schien. Von der Garage huschte sie zur Hintertür, den Schlüssel griffbereit, dann schlüpfte sie hastig ins Haus wie ein Flüchtiger, der um Haaresbreite der Polizei entwischt war.
Dieser Morgen, sagte sie sich entschlossen, würde so verlaufen wie jeder andere Morgen.
Sie zog Shorts, Sport-BH, Tanktop, Socken und ihre Laufschuhe an, und nach wenigen Minuten trat sie aus der Haustür, schloss ab und hängte sich den Schlüssel um den Hals.
Die Verletzungen von ihrem gestrigen Sturz waren nicht auf magische Weise geheilt worden, aber sie schmerzten nicht mehr so sehr, daher konnte sie sich wie gewohnt aufwärmen und ihre Dehnübungen machen, ehe sie sich auf ihre Lieblingsroute begab.
Das Joggen half Melissa immer, jegliche Unordnung aus ihrem Gehirn zu vertreiben und ihre Gedanken zu sortieren, und der heutige Morgen stellte dabei keine Ausnahme dar.
Als sie das Geschehen Revue passieren ließ, stieß sie auf drei Tatsachen: Erstens hatte sie mit Steven Creed geschlafen, zweitens hatte es ihr Spaß gemacht, weshalb sie nichts bereute. Und drittens musste sie gut auf sich aufpassen, wenn sie nicht wollte, dass wieder ein Mann auf ihren Gefühlen herumtrampelte.
Mit dem Handrücken wischte sie eine verirrte Träne weg und lief etwas schneller.
Sie joggte die Main Street entlang, lief dreimal um den Park und kam dann am Sunflower Café vorbei, wo sie heute Morgen jedoch keinen Zwischenstopp einlegte, um sich eine Flasche mit kaltem Mineralwasser zu kaufen.
Der Heimweg führte sie an Ashleys Haus vorbei, wo aber noch alles ruhig war, was vermutlich mit der Uhrzeit zu tun hatte. Bestimmt lagen die älteren Herrschaften noch in ihren Betten und schliefen fest. Doch wer konnte schon sagen, was sie nach einem guten Frühstück vorhatten.
Als Melissa ihr Grundstück erreichte, hörte sie, dass im Haus das Telefon klingelte. Obwohl es natürlich der gleiche Klingelton wie immer war, kam es ihr so vor, als sei es ein dringender Anruf. Hastig schloss sie auf und eilte nach drinnen.
„Hallo?“, meldete sie sich auf eine für sie gar nicht typische Weise.
„Hi“, erwiderte Tom. „Könntest du heute etwas früher ins Büro kommen?“
Die Haut in ihrem Nacken begann zu kribbeln, weil eine böse Vorahnung sie ergriff. „Grundsätzlich ja. Um was geht es denn?“
Nach kurzem Schweigen erklärte Tom: „Es geht um diesen Jungen, Nathan Carter. Einer meiner Deputys hat ihn gestern Abend wegen Landstreicherei hergebracht, in erster Linie, damit der Junge einen Platz zum Schlafen hat. Heute Morgen behauptete Carter, Pete sei ihm gegenüber gewalttätig geworden, und er hat seinen Vorwurf mit einem respektablen Veilchen untermauert. Er will uns verklagen.“
Melissa atmete gedehnt aus. Deputy Pete Ferguson war ein grundsolider Bürger, er war verheiratet und hatte vier Kinder. Sein Ruf in der Gemeinde war untadelig. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er seine Position als Polizist missbraucht hatte.
„Na wunderbar“, murmelte sie.
„Du bist die Anklägerin, O’Ballivan“, fuhr Tom finster fort. „Ferguson wird einer Straftat bezichtigt, und der Mann ist deswegen außer sich. Also wäre es besser, wenn du herkommst und entscheidest, ob es ein Verfahren geben soll oder nicht.“
„Ich mache mich gleich auf den Weg“, erklärte sie. „Sag Pete, er soll die Ruhe bewahren.“
Sie duschte schnell, zog sich an und beschränkte das Make-up auf Mascara und ein wenig Lipgloss. Bevor sie das Schlafzimmer verließ, blieb sie kurz stehen und betrachtete sich im Spiegel, der bis zum Boden reichte. In ihrer schwarzen Hose und der pfauenblauen Seidenbluse wirkte sie eindeutig wieder wie ihr gewohntes Ich, was für sie sehr wichtig war, da sie nach der letzten Nacht nicht mehr so genau wusste, wer sie eigentlich war.
Als sie das Gerichtsgebäude betrat, überkam sie ein unerklärliches Gefühl von Angst. Nachdem sie kurz stehen geblieben war, um es zu überwinden, ging sie weiter zu Toms Büro, atmete einmal tief durch und trat ein.
Steven stand neben Toms Schreibtisch. Er war perfekt gekleidet, und trotzdem machte er dabei den Eindruck eines Mannes, der eine erfrischende Nacht voller Sex hinter sich hatte.
Letzteres traf ja auch zu, doch daneben war er Anwalt, und er war hier, um jemanden zu vertreten. Aber wen? Pete oder Nathan Carter? Sicher war in
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