Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
hatten und das Essen auf dem Tisch stand, erzählte er Geschichten aus seinem Rodeoleben, sowohl in den Staaten als auch nördlich der Grenze in Kanada. Dabei legte er offensichtlich großen Wert darauf, nichts über seine Person preiszugeben. Er hätte ebenso gut ein Außerirdischer sein können, der sich als Brody Creed ausgab, so wenig fühlte sich Steven mit dem Mann verbunden. Früher einmal waren sie wie Brüder gewesen.
Er war für Steven praktisch ein Fremder geworden. Diese Erkenntnis verletzte ihn. Wie war das nur möglich? Was war geschehen, dass sie sich so fremd geworden waren?
Nach dem Essen willigte Matt nur widerstrebend ein, zu duschen und seinen Schlafanzug anzuziehen.
Brody räumte den Tisch ab, und als alles im Spülbecken stand, nahm er Matts Strichmännchenzeichnung und betrachtete sie nachdenklich. „Alle wollen sie nur das eine“, murmelte er und hielt das Blatt dabei so, als wäre es etwas Heiliges. „Eine Familie.“
„Ja“, brachte Steven mit Mühe heraus, da seine Kehle wie zugeschnürt war. Gleich darauf drehte er sich weg, um nach Matt zu sehen. Tatsächlich jedoch standen ihm Tränen in den Augen, die der Junge vermutlich nicht bemerken würde, die er aber Brody unter keinen Umständen zeigen wollte.
Als er zurückkam, stand die Bustür offen, und Brody war spurlos verschwunden. War er etwa fortgegangen, ohne sich zu verabschieden? Der Gedanke ließ Steven zusammenzucken, doch dann setzte sein gesunder Menschenverstand wieder ein. Der Hund war draußen, und Brody war bei ihm.
Er ging zur Tür und sah, wie sein Cousin unter der Plane über der Ladefläche seines Trucks einen Koffer hervorholte. Das Gepäckstück sah aus, als hätte man es an einen Traktor gekettet und dann über eine Strecke von fünf Meilen über einen Acker geschleift.
Bei genauer Betrachtung sah Brody eigentlich nicht viel besser aus. Das Leben hatte ihm hart mitgespielt, so viel stand fest.
Vielleicht würde er eines Tages darüber reden, vielleicht aber auch niemals ein Wort zu dem Thema verlieren. So stur und unberechenbar, wie er war, kamen beide Möglichkeiten gleichermaßen in Betracht.
Brody brachte den Koffer in den Bus – und außerdem ein paar zerlumpte Decken, von jener billigen Machart, wie man sie auf den Wochenmärkten in Tijuana und Nogales bekam.
Während Brody alles vor und auf der Couch ablud, ging Steven wortlos zur Tür und pfiff nach Zeke, der auf dem Hof offenbar irgendeinem umherschwirrenden Käfer nachjagte. Irgendwie hatte der Anblick des spielenden Hundes mit dem alten Haus im Hintergrund etwas Tröstendes.
„Ich bin fertig!“, rief Matt vom Ende des langen Gangs. „Ich hab mir die Zähne geputzt!“
„Gut gemacht“, antwortete Steven.
„Ich brauche heute keine Gutenachtgeschichte“, fügte Matt sehr erwachsen hinzu. „Du willst bestimmt noch mit Brody reden.“
Steven lächelte ihn an. „Für eine Geschichte ist immer noch Zeit genug“, erwiderte er. Seit Matt als verängstigter und verwirrter kleiner Junge mit Schmusedecke und Plüschstinktier zu ihm gekommen war, hatte er ihm jeden Abend eine Geschichte aus einem Buch vorgelesen. Und wenn Steven nicht zu Hause gewesen war, dann hatte er dafür gesorgt, dass die Babysitterin dieses Ritual übernahm.
„Ich will mir nur ein bisschen mein Bild ansehen“, erklärte Matt, der für einen so kleinen Jungen verdammt philosophisch klang.
Mein Bild.
Das Foto von Zack und Jillie, wie sie in ihren Flitterwochen Fallschirm springen. Er wollte ihm sagen, dass es noch dort lag, wo sie es hingelegt hatten, nämlich auf Matts Nachttisch, doch da durchquerte der Junge bereits das Wohnzimmer und nahm sich die Zeichnung, die er in der Tagesstätte gemalt hatte.
Das bist du, das ist Melissa, und das bin ich.
Wieder füllten sich Stevens Augen mit Tränen. „Wenn du es dir mit der Geschichte doch noch anders überlegst, dann ruf mich einfach“, sagte er mit belegter Stimme.
Matt nickte und grinste die beiden breit an. „Nacht, Dad. Nacht, Brody.“
Steven erwiderte ein stummes Nicken, während Brody sagte: „Gute Nacht, Colorado.“
Das ließ den Jungen vor Freude strahlen. „Komm, Zeke“, rief er. „Zeit, ins Bett zu gehen.“
„Was dagegen, wenn ich mal schnell dusche?“, erkundigte sich Brody, als er und Steven allein waren.
„Was sollte ich dagegen haben?“, konterte er vielleicht ein wenig zu abrupt. „Brauchst du irgendwas?“
„Meinst du vielleicht eine Zahnbürste, Boston?“ Brody grinste amüsiert.
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