Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
Einschalttaste und wartete.
Vielleicht fand sie eine hilfreiche Website. Etwas wie „Hastdukeinleben.com“ oder so.
Zuerst sah sie ihre E-Mails durch – da war nicht viel.
Dann rief sie ihre Onlinebanking-Seite auf und buchte die Tageseinnahmen.
„Sieh dir das an“, sagte sie, den Blick auf den Monitor gerichtet, obwohl sie wusste, dass Winston nicht zuhörte. „Wenn wir öfter solche Tage wie heute haben, laufen Tricia und ich tatsächlich Gefahr, Profit zu machen.“
Die Buchführung erforderte noch mehr Arbeit – Buchführung erforderte immer noch mehr Arbeit –, doch weil sie trotz des Ausritts schlechte Laune hatte, beschloss Carolyn, auf morgen zu verschieben, was sie heute hätte besorgen sollen. In der Woche war vormittags gewöhnlich nicht viel Betrieb im Laden, und außerdem wäre sie dann ausgeruht und fähig zum Einsatz der linken Gehirnhälfte, um im virtuellen Ordner Soll und Haben zu berechnen.
Sie beschloss, sich noch eine Tasse Kräutertee zu kochen und zu nähen. Sollte doch ihre stets dynamische rechte Hirnhälfte für den Rest des Abends den Laden schmeißen.
Allerdings kann es nicht schaden, sich die Online-Partnervermittlung wenigstens einmal anzusehen, überlegte sie.
Die Auswahl war, wie sich herausstellte, schwindelerregend.
Es gab Seiten für Leute, die einen Partner mit der gleichen Religion suchten.
Und Seiten für Hundefreunde, Katzenfreunde, Pferdefreunde und so ziemlich jede andere Art von Freunden. Man konnte sich anmelden, um Leute kennenzulernen, die die gleichen Hobbys, politischen Überzeugungen, Filme, Speisen und Getränke, Bücher und so weiter mochten.
Auch der bevorzugte Beruf konnte ein Auswahlkriterium darstellen. So ziemlich jede legale Betätigung – und zusätzlich noch ein paar eindeutig zweifelhafte – war nicht nur auf einer,sondern auf Dutzenden von Websites vertreten. Und falls sie einen Mann mit einem bestimmten Vornamen oder einem bestimmten Sternzeichen kennenlernen wollte, war auch das kein Problem.
Es war schlichtweg überwältigend. Und faszinierend, besonders für eine Frau, die zum Abendbrot ein zerdrücktes Mortadella-Sandwich gegessen und eine leidenschaftliche und ziemlich ausführliche Unterhaltung mit einem Kater als einzigem Zuhörer geführt hatte.
Das Glück ist mit den Mutigen, sagte Carolyn sich und entschied sich für eine von mehreren in Denver ansässigen Seiten. Die Startseite war seriös und geschmackvoll und der Fragebogen für Mitglieder auf Probe kurz und relativ unaufdringlich. Einige andere Websites verlangten so viele persönliche Angaben, als wollten sie die Ahnen ihrer Mitglieder bis in die Eiszeit zurückverfolgen.
Na ja, sozusagen.
Die ersten zwei Wochen der angebotenen Probephase waren gratis. Sie brauchte nur ein Foto von sich, ihren Vornamen, ihr Alter und ein paar Nebensächlichkeiten ins Netz zu stellen.
Carolyn beschloss, sich zunächst Carol zu nennen. Sie entschied sich für ein Foto jüngeren Datums, aufgenommen bei einem Picknick am Unabhängigkeitstag, gab zu, dass sie auf die dreißig zuging, und dann – tja – dann schwindelte sie. Nur ein bisschen.
Sie gehe gern zum Bowling, schrieb sie in das kleine, mit „Spezielles über mich“ überschriebene Feld, und sie arbeitete in einer Bank. Sie besaß zwei gerettete Hunde, Marvin und Harry, und war verheiratet gewesen, als sie noch sehr jung war.
Nachdem sie ihren Eintrag noch einmal gelesen hatte, seufzte sie, stützte einen Ellbogen auf die Schreibtischplatte und legte ihr Kinn in die Hand. Natürlich entsprach nichtsdavon der Wahrheit, aber sich Dinge auszudenken, lag in ihrer Natur. Außerdem fing sie an, die fiktive Carol zu mögen.
Sie schien ein feiner Kerl zu sein.
Carolyn vergewisserte sich, dass Interessenten sie nur über eine zugewiesene E-Mail-Adresse in Verbindung mit dieser Website erreichen konnten, bewegte den Cursor auf das Kästchen rechts unten in der Bildschirmecke, auf dem stand „Nichts wie los!“, und klickte es an.
Schon im nächsten Augenblick bereute sie den Klick, aber dafür war es zu spät. Jetzt war sie dort draußen im künstlichen Raum, wenn auch unter falscher Identität. Es war irgendwie aufregend und nicht ganz geheuer.
Immerhin hatte sie einen Schritt unternommen und sich, ganz gleich wie zaghaft, auf den Weg in Richtung ihres Herzenswunsches gemacht: ein eigenes Zuhause und eine Familie.
Trotzdem suchte sie die Homepage von Friendly Faces nach einer Schaltfläche ab, die ihr den Rücktritt von ihrer
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