Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
eigenen Haut so sicher, so zu Hause fühlte? Wurde man so, wenn man irgendwohin gehörte, Teil einer Sippe war? Obwohl er jahrelang fort gewesen ist, überlegte Carolyn neidvoll, ist der Mann zweifellos tief im steinigen Boden von Colorado verwurzelt. Dann schüttelte sie rasch den Kopf. Allein der Gedankean Essen – und sei es nur Suppe – weckte schon wieder Brechreiz in ihr.
„Ich kann nicht“, krächzte sie.
„Gut“, sagte Brody.
Seltsamerweise gab ihr seine unerschütterliche Fürsorglichkeit ein noch stärkeres Gefühl der Verletzlichkeit als der unverschämte Kuss.
Carolyn wappnete sich gegen das völlig normale menschliche Bedürfnis nach Trost, Fürsorge und Aufgehobensein – jedenfalls normal für andere Menschen. Pflegekinder jedoch mussten – ganz gleich wie gut die Heime waren, in denen sie untergebracht wurden – stark und selbstverantwortlich sein und durch und durch robust.
Immer.
„Du könntest jetzt eigentlich gehen“, legte sie ihm behutsam nahe.
Wieder lachte Brody leise, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. „Könnte ich“, bestätigte er, machte jedoch keinerlei Anstalten, aufzubrechen.
„Und was das betrifft, was Kim beim Abendessen gesagt hat, dass ich mich bei einer Singlebörse angemeldet habe …“
„Wer hat irgendwas darüber gesagt?“, fragte Brody, als ihre Stimme versagte.
„Wenn ich gewusst hätte, dass sie es allen erzählt, hätte ich ihr überhaupt nichts gesagt.“
„Kim hat es nicht böse gemeint, Carolyn“, sagte Brody ruhig. „Und du bist eine erwachsene Frau, geistig und … körperlich gesund …“ Er hielt inne, und wieder blitzte dieses gewisse Etwas in seinen Augen auf. „Wenn du dich mit potenziellen Trickbetrügern verabreden willst, ist das deine Angelegenheit.“
Einerseits wusste Carolyn genau, dass Brody sie aufzog. Andererseits konnte sie nicht anders, als darauf einzugehen. „Potenzielle Trickbetrüger? Das nennt man Zynismus“, warfsie ihm vor, obwohl sie von Anfang an ganz ähnliche Gedanken gehabt hatte.
„Wenn du auf dem Markt bist, um einen Mann abzubekommen, Carolyn, ist es deine Sache, wie du dir einen an Land ziehst. Ich rate dir nur, vorsichtig zu sein. Da draußen laufen ein paar wirklich Verrückte herum.“
„Auf dem Markt?“ Fassungslos beugte sie sich auf ihrem Stuhl vor. „Einen an Land ziehen?“ Wut gab ihr immerhin ein besseres Gefühl als Verlegenheit.
„Musst du alles wiederholen, was ich sage?“, beschwerte sich Brody.
„Wer sonst würde sich schon mit mir verabreden wollen, wie?“, ereiferte sich Carolyn, dämpfte aber ihre Stimme, um nicht zu schreien und Winston zu erschrecken. Oder die Nachbarn. „Außer einem verrückten Loser, der auf normalem Wege keine Frau findet?“
Brody lachte. Lachte. Dreistigkeit besaß er wirklich im Überfluss.
Sex-Appeal aber auch, verdammt noch mal.
„Da, schon wieder legst du mir Worte in den Mund“, erwiderte er völlig lässig. Ganz kurz streifte sein Blick ihre Brüste, dann sah er ihr wieder ins Gesicht. „Atme tief durch, Carolyn. Wenn du dich bei Funky Faces, oder wie auch immer der Verein sich nennt, anmelden willst, dann tu es.“
„ Friendly Faces“, korrigierte Carolyn und ärgerte sich, weil sie sich in die Defensive drängen ließ. Warum konnte sie nicht wenigstens ein einziges Mal eines dieser Rededuelle gewinnen?
„Egal“, sagte Brody gleichgültig, schob seinen Stuhl zurück und stand – endlich – auf. „Und du kommst wirklich zurecht?“
„Ja, wirklich“, beteuerte Carolyn, schlang die Arme um ihren Oberkörper und sah Brody nicht an.
Komisch. Obwohl sie den Blick abgewandt hatte, attackierteder Mann ihre strapazierten Nerven. Sie war sich Brody Creeds Nähe mit jeder Faser ihres Körpers bewusst. Er ließ alles in ihr pulsieren.
Die Aussicht auf seinen Aufbruch erfüllte sie mit wütendem Triumph – und mit einer gewissen stillen Niedergeschlagenheit.
Geh, dachte sie verzweifelt. Um Himmels willen, Brody, geh einfach.
Doch statt schnurstracks zur Tür zu gehen, umrundete Brody den Tisch, blieb hinter Carolyns Stuhl stehen, beugte sich herab und hauchte ihr einen federleichten Kuss auf den Kopf.
„Man sieht sich“, sagte er.
Carolyn biss die Zähne zusammen, damit sie ihn nicht bat, zu bleiben.
Damit er sie mit Suppe lockte und in die Arme nahm.
Für einen Tag hatte sie genug Dummheiten gesagt und getan. Sie hatte ihr Soll erfüllt und sogar überschritten.
Wenige Sekunden später war
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