Die Cromwell Chroniken 02 - Grabes Hauch
Als er wieder zu den anderen sah, stellte er fest, dass Linda ebenfalls zu beten begonnen hatte. Selbst Cat hatte sich hingekniet. Sie hatte ihre Hände nicht gefaltet, aber sie nahm auf ihre Weise Anteil.
Zögerlich sank nun auch Flint auf die Knie. Er kam sich merkwürdig dabei vor.
Was mache ich hier? Ich sollte etwas tun und nicht einfach nur untätig herumsitzen! Das ist so falsch!
Aufgewühlt blickte er zu Graciano hinüber und wollte ihn schon unterbrechen und ihn fragen, wie lange er denn noch hier herumsitzen würde, da entdeckte er etwas: Ein mattes Leuchten drang aus den gefalteten Hände des Wächters. Nur ganz zart. Flint hätte es beinahe übersehen. Doch es war da.
Was ist das?
Graciano beugte sich langsam nach vorne und hielt beide Handflächen über die offene Wunde an Valerians Seite. Er berührte das verletzte Fleisch nicht. Die Hände schwebten einen halben Zentimeter darüber und verdeckten Flint die Sicht. Das Licht, das von ihnen ausging, strömte nach unten. In dieser demütigen Haltung verharrte Graciano regungslos.
Flint warf Katharina einen fragenden Blick zu und sie lächelte auf ihre stille, katzengleiche Art. Das beruhigte ihn und er hatte mit einem Mal das Gefühl, dass alles wieder gut werden würde. Es breitete sich langsam, aber sicher in ihm aus. Linda hatte ebenfalls ihre Fassung zurückerlangt und sie sah staunend auf den CUSTODES ILUMINIS.
Sie muss es sehen können, dieses … Wunder …?
Der Gedanke hatte etwas Fremdes für ihn. Er saß auf einem Friedhof und wurde Zeuge eines Wunders … Was sollte er davon halten? Er dachte eine Weile darüber nach, bis sein Verstand streikte und auf eine Pause bestand.
Zeit verging und seine Knie begannen zu schmerzen. Er grübelte, ob er einfach aufstehen solle.
Wäre das respektlos?
Dann fiel ihm ein, wie groß Valerians Schmerzen gewesen sein mussten.
Er ist sogar davon ohnmächtig geworden – und ein Weichei ist er bestimmt nicht.
Also beschloss er, weiter auszuhalten.
Für Valerian.
Wie viel Zeit genau vergangen sein mochte, konnte Flint nicht sagen. Schließlich hob Graciano die Hände und ließ sie, ohne dabei die Augen zu öffnen, ein Stück höher gleiten. Dort positionierte er sie rechts und links auf den Schulterwunden.
Noch länger? Ich halt das gleich nicht mehr aus.
Seine Sorge verflüchtigte sich aber, als er auf Valerians Seitenwunde sah. Oder besser – als er an die Stelle der ehemaligen Wunde blickte.
Das gibt es nicht!
Flint hatte geglaubt, dass Graciano nur die Blutung stoppen würde, doch er hatte sich geirrt: Dort gab es keine Wunde mehr! Er sah nur noch die teilweise getrockneten Blutflecke, doch die Haut darunter hatte sich geschlossen. Mit Sicherheit konnte er es nicht sagen, dazu war es zu dunkel, aber er war fest davon überzeugt. Ein Blick in Valerians Gesicht zeigte ihm außerdem, dass der Unsterbliche sich erholte. Diese unnatürliche Blässe war aus seinen Zügen verschwunden.
Wie kann das sein?
Flint blickte zu Graciano hinüber. Er hätte erwartet, dass der Wächter hochkonzentriert die Stirn furchte. Das Gegenteil war jedoch der Fall: Gracianos Antlitz schien vollkommen friedlich und entspannt. Der Hauch eines Lächelns umspielte seinen Mund und seine Haltung drückte pure Hingabe aus.
Diesmal dauerte es nicht so lange, bis Graciano die Hände zurückzog. Er faltete sie ihm Gebet, verharrte einen Moment stumm und sprach dann leise aber deutlich: „Amen.“
Das Wort hallte noch kurz nach, dann platzten all die aufgesparten Gedanken der anderen aus ihnen heraus.
„Wie geht es ihm? Geht es ihm gut? Ich sehe keinen Schmerz mehr in seiner Aura. Hast du ihn geheilt?“
„Mensch, wie hast du das gemacht?“
„Die Wunden sind alle verheilt!“
„Bist du in Ordnung? Musst du dich ausruhen?“
„Ich fass es nicht! Er hatte so viel Blut verloren!“
„Unglaublich!“
Das Gespräch brach wie ein lebendiger Wasserfall über Graciano herein und er konnte nicht antworten, ohne jemanden zu unterbrechen.
Was er nie tun würde …
Deshalb beschränkte er sich darauf, schweigend zuzuhören und sanft in sich hineinzulächeln. Schließlich riss der Wortschwall ab und drei Augenpaare betrachteten ihn neugierig.
„Es geht ihm gut. Mir auch. Er wird bald aufwachen. Und nicht ich habe ihn geheilt, sondern der Herr durch mich. Ich bin nur sein Werkzeug.“
Immer bescheiden. Graciano ist einfach nicht von dieser Welt. Er kann nicht mal ein Lob für sich selbst beanspruchen , dachte Flint in
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