Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
darauf ankommt, etwas in meiner Umgebung erkennen.“
Lindas Finger spielten nervös mit der Fibel an ihrer Schulter. Die blinde Seherin war schon seit einer Stunde fertig angezogen. Es war fast Mittag und Katharina hätte eigentlich ebenfalls genug Zeit gehabt, aber irgendwie benötigte sie heute für alles doppelt so lange.
„Es ist anstrengend für dich. Außerdem – nichts für ungut, aber du bist jetzt schon aufgeregt. Glaubst du wirklich, du tust dir damit einen Gefallen, wenn du später total aus dem Häuschen bist?“
Das Medium blickte in den Spiegel und begann, ihr schwarzes Haar aufzustecken. Man hatte ihnen erklärt, wie sie es machen sollten, doch Katharina hatte damit keine Erfahrung und so musste sie mehrmals von vorne anfangen. „Das stimmt, deshalb wäre ich auch froh darüber. Ich möchte nur nicht, dass ich dir dadurch den Spaß verderbe.“
„Warum solltest du mir den Spaß verderben?“
Katharinas Frisur glich eher einem wirren Vogelnest als einem Haarkrönchen. Genervt riss sie sich die Klammern vom Kopf und bürstete energisch ihre dunklen Strähnen.
„So ein Mist! Wie hast du deine Haare so gut hinbekommen? Ich kann das einfach nicht“, rief sie frustriert.
Wie immer war Linda sofort zur Stelle, wenn sie gebraucht wurde.
„Ich habe geübt. Soll ich dir helfen?“
Jetzt brauche ich schon die Hilfe einer Blinden, um meine Haare zu stylen. Großartig.
„Von mir aus. Aber wie willst du das anstellen?“
Linda ließ von ihrer Fibel ab, griff nach dem Arm ihrer Freundin und führte sie zu einem Stuhl. Dann ging sie wieder zum Spiegel, tastete nach den Haarutensilien und kehrte zu dem Medium zurück.
„Ich habe das noch nie bei jemand anderem gemacht, aber allzu schwer wird es bestimmt nicht sein.“
Sie legte alles auf einem kleinen Tischchen ab und tastete mit ihren Fingerspitzen über Katharinas Kopf. Cat schloss die Augen, atmete tief durch und spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel.
Ihre Freundin teilte eine Strähne ab, kämmte sie und legte sie in Locken, die sie aufsteckte. Immer wieder überprüfte sie mit ihren Händen, ob alles gut saß. Es war sehr angenehm, auf diese Weise umsorgt zu werden. Es hatte etwas Mütterliches und die Stille wirkte beruhigend auf Katharina. Ihre Mutter, Adele van Genten, war nicht der mütterliche Typ. Wann hatte sie das letzte Mal ihrer Tochter eine Frisur gemacht? Wann hatte sie gefragt, wie es ihr ging?
Katharina fand es sehr schade, dass ihre Familie heute nicht dabei sein konnte – nicht dabei sein wollte . Sie waren bei Cendrick, dem Stolz der van Gentens. Nun würden sie daran erinnert werden, dass sie diejenige war, die fehlte.
Mit einem Mal war die Studentin unendlich traurig. Sie vermisste ihre Familie, vermisste deren Zuneigung und Aufmerksamkeit. Sie und Cendrick waren Zwillinge, unzertrennlich von Anfang an – und jetzt? Kein Wort, von niemandem! Katharina hatte ihnen bereits vorgeworfen, dass sie an den Rand gedrängt wurde. Auf Konfrontation mit dem Thema ging aber niemand ein. Ihre Familie wehrte ab, wenn sie ihnen etwas unterstellte. Das machte die Studentin sowohl wütend als auch hilflos.
Linda legte ihre Hände auf Cats Schultern. Eine Geste, die Trost spendete. Sie sprach nicht, sondern schenkte ihr stumme Anteilnahme.
Das Medium legte ihre eigenen Hände auf die ihrer Freundin und lächelte traurig. „Danke.“
„Keine Ursache. Wir sind bald Ordensschwestern. Es ist nicht dasselbe wie die eigene Familie, aber es muss nicht weniger sein. Ich bin da, wenn du mich brauchst.“
Die blinde Seherin fühlte, wie Cat nach ihrer Hand griff. Das war das Zeichen, dass sie mit dem Leihen der Sinne beginnen konnte.
Sie öffnete sich für die Schwingungen ihrer Freundin und tastete nach deren Sehsinn. Es war nicht das erste Mal, dass Cat ihr erlaubte, durch ihre Augen zu blicken, deshalb fiel es Linda leicht. Das Erste, was sie sah, war sie selbst. Theoretisch wusste die Blinde, wie sie aussah, doch es war immer wieder ungewohnt und irgendwie auch unangenehm.
„Macht es dir etwas aus, wenn du mich nicht ansiehst? Ich weiß, das klingt komisch, aber ich komme mir dabei so eigenartig vor.“
„Natürlich, wie du willst.“
Katharina wandte sich wieder dem Spiegel zu und befestigte mit ihrer linken Hand drei weiße Rosen in ihrem Haar.
„Du bist so hübsch. Schade, dass Flint dich nicht so sehen kann“, hauchte Linda andächtig.
Das Kompliment und die Erwähnung ihres Freundes zauberten ein Strahlen in das
Weitere Kostenlose Bücher