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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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fallen und setzt sich schwer auf die Stufen des Altars. Der Priester gibt dem Organisten ein Zeichen, der daraufhin eine sanfte Melodie anstimmt.
    Naomi springt auf und kommt auf uns zu. Ich packe Freddys einen Arm, und Flynn nimmt den anderen. Der Junge stößt einen scharfen Schrei aus, als wir ihn auf die Füße ziehen. Er lässt den Stock fallen und kreischt wie wild, will sich unserem Griff entwinden.
    Wir halten ihn fest und gehen hinaus. Freddy kämpft. Flynn keucht plötzlich auf und bleibt abrupt stehen. Etwas muss passiert sein, denn er hat Freddy losgelassen. Er krümmt sich vor Schmerz und umklammert sein Handgelenk. Ich seheBlut. Viel Blut, das sich dramatisch auf dem weißen Hemd abzeichnet.
    »Er hat mich gebissen«, murmelt er. »Geht«, er deutet mit dem Kopf zur Tür. »Geht jetzt.«
    »Haltet ihn fest!«, schreit ein Mann, es gibt ein Durcheinander, als die Leute aufspringen und loslaufen. Ich stürme zum Ausgang und ziehe Freddy hinter mir her. Naomi ist vor uns und stößt die Tür auf.
    »Alle setzen!«, ruft eine Stimme im Kommandoton. Mit amerikanischem Akzent. Es ist Ashok. »Hinsetzen, verdammt noch mal! Und zwar sofort! Das ist ein Begräbnis! Der Junge geht ja schon! Er ist durcheinander. Wie wir alle. Aber er ist ein Kind. Lasst uns doch ein bisschen Würde bewahren, Leute!«
    Die Trauergesellschaft zögert. Die Musik spielt unsicher weiter. Der Pfarrer bittet mit schwacher Stimme um Ruhe, doch die Panik gewinnt die Oberhand. Ich hebe Freddy hoch und renne zur Tür hinaus. Als Naomi sie hinter mir schließt, ruft sie noch: »Wir treffen uns am Auto!«
    Das Tageslicht ist gleißend hell nach der düsteren Kapelle. Freddy zappelt wie wild, aber ich halte ihn fest, während ich halb laufe und halb stolpere, den Arm um seine Brust geschlungen, darunter seine strampelnden Beine. Ich renne zum Parkplatz, als ich einen brennenden Schmerz im Unterleib spüre. Irgendwie ist es ihm gelungen, die eine Hand zu befreien und mir in die Hoden zu boxen. Ich stürze zu Boden, und einen Augenblick lang wird alles um mich herum schwarz. In dieser Schwärze spüre ich eine Bewegung, eine Masse, die sich auf geschmeidige, widerliche Art und Weise verschiebt.
    Als ich mich wieder in der Gewalt habe, rennt Freddy schon über den Friedhof zur Bahnlinie, springt über schiefe Grabsteineund schreit, während seine schwarzen Locken tanzen. Mein Herz hämmert.
    »Freddy! Bleib stehen!« Aber ich würge, meine Stimme hat keine Kraft. In meinem Unterleib dröhnt der schlimmste Schmerz, den ich je gespürt habe. Hinter mir kommen Flynn und Naomi gerannt, gefolgt von Ashok. Stephanie tritt aus der Kapelle, eine Gruppe von Frauen drängt sich um sie. Einige von ihnen sind in Tränen aufgelöst. Ein paar wütende Trauergäste versammeln sich am Eingang. Ich rapple mich hoch und laufe Freddy hinterher. Jedes Mal, wenn ich auftrete, spüre ich den bohrenden Schmerz – aber ich habe den Jungen gesehen und weiß, wohin ich laufen muss. Er rast die Böschung hinunter und über die Gleise, stürzt sich in das Dickicht auf der anderen Seite, wenige Meter von einer gewaltigen Blutbuche entfernt. Ich benutze den Baum als Orientierungspunkt und rutsche den steilen Abhang hinunter, querbeet durch Nesseln, Disteln, Knöterich und Weidenröschen. Die Stimmen vom Friedhof werden leiser, als ich in den Wald laufe und dabei Professor Whybrays Jackett wegwerfe. Keine Spur von Freddy.
    Ich brauche ein System. Spurensucher halten Ausschau nach beschädigtem Laub. Ich knie mich hin. Auf Augenhöhe des Jungen entdecke ich einen tunnelähnlichen Eingang in den Büschen links von mir. Die Äste sind niedergetrampelt worden. Ich dringe vor und stolpere weiter, wobei meine Hemdsärmel an Dornen hängen bleiben. Nach einigen Metern kann ich mich wieder aufrichten und finde mich zerkratzt und blutig auf einer Müllkippe wieder. Ein rostiges Auto, schwarze Plastiktüten, alte Waschmaschinen, ein kaputter Hüpfball. In der Nähe gibt es einen Tümpel mit öliger Oberfläche, in dem halb versunkene Einkaufswagen und ganze Büschel rußgeschwärzter Rohrkolben liegen. Mein Handy vibriert, es ist Ashok.
    »Wo bist du?« Ich erkläre es ihm so leise wie möglich. »Flynn ist unterwegs, und ich komme nach, sobald ich die Leute wieder in der Kapelle habe. Der Gottesdienst wird fortgesetzt. Die Sache abschließen und so weiter.«
    Ich bin erleichtert. In diesem Moment huscht eine kleine, dunkle Gestalt zwischen den Bäumen hindurch auf einen Zaun zu. »Er

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