Die da kommen
erklärte, dass man in anderen Ländern und anderen Religionen andere Dinge sagte. Dass aber viele Wörter einander sehr ähnlich seien, egal wo man lebe, so wie auch die Gebete einander gleichen und die Dinge, um die die Menschen beten. Dann wollte er wissen, wie lange es dauern würde, bis der Körper zum Skelett wurde, das er dann ausgraben und zusammenkleben und in seinem Zimmer aufbewahren konnte. Ich erklärte ihm, wie tote Körper in der Erde verwesen. Wie Insekten und Maden das Kaninchen auffressen würden. Wir kamen auf Lebenszyklen und Proteine und die Nahrungskette, und er bombardierte mich nur so mit Fragen. Durch diesen offenen Informationsaustausch über die Welt fühlte ich mich zunehmend in ihr zu Hause. Wer und wo, wie und wieso, wann und was. Keine Halbheiten. Keine Doppeldeutigkeiten.
»Es verwest also und ernährt die Erde, und die Erde ernährt Pflanzen, und dann wachsen die Pflanzen, und wir essen die Pflanzen«, fasste er zusammen.
»Ja, Freddy K. Korrekt.«
»Warum essen wir das Kaninchen nicht einfach?«
»Gute Idee. Kanincheneintopf. Wir können uns ein Rezept suchen.« Dadurch kamen wir auf Messer und Blut und Häutungstechniken. Wir würden nachschlagen, wie man es richtig machte. Wir würden die Eingeweide entfernen und untersuchen. Wir könnten uns das Herz ansehen und es mit demin meinem Da-Vinci-Buch vergleichen, das er so mochte. Wir würden die Leber suchen und sezieren und auch die Nieren und das Gehirn.
Zurück in London stürmte Freddy in die Küche, schwenkte die Tüte und berichtete Kaitlin überschwänglich von unserem Abenteuer und unserem Plan. Sie war gut gelaunt und freute sich, dass wir solche »Jungssachen« miteinander machten.
Die Haut des Tieres ließ sich wie ein Mantel abziehen. Wir härteten sie, indem wir sie auf eine Spanplatte hefteten, mit Salz bedeckten und auf dem Autodach in die Sonne legten. Dann zerlegten wir das Fleisch, und Kaitlin machte einen Eintopf mit Pflaumen und Armagnac, den Freddy als »sensationell« bezeichnete, aber größtenteils auf seinem Teller liegen ließ.
Ich wache auf, als die Sonne über der Stadt aufgeht und die Maschine zum Landeanflug ansetzt. Es ist Sonntag, der 23. September. Ich kenne die Wettervorhersage nicht, vermute aber, dass es deutlich über vierzig Grad werden wird. Die Stadt am glitzernden Meer, die mit Baukränen gespickt ist wie ein Nadelkissen, erweckt den Eindruck eines unvollendeten und unvollendbaren Projekts.
Draußen ist es heiß. Mein Taxifahrer ist Afghane, also probiere ich ein paar Wörter Paschtunisch aus. Auf dem Weg zum Hotel erlebe ich eine Stadt aus glänzendem Glas und Metall, mit breiten Schnellstraßen, unwahrscheinlich grünen Wiesen, riesigen, sauberen Einkaufszentren und Baustellen an jeder Ecke. Ich weiß, dass praktisch nichts von dem, was ich sehe, hier hergestellt wurde, dass alles außer dem Sand importiert wurde und es in einem dieser Einkaufszentren eine Skipiste gibt. Die hohen Palmen, die die Straßen säumen, werden durch das Wasser aus den Entsalzungsanlagen am Leben erhalten. Dubai verbraucht mehr Wasser als jede andereStadt der Welt. Sie verbraucht mehr Kohlenstoff pro Kopf. Sie besitzt die höchsten Gebäude der Welt. Die schmale Nadel des achthundert Meter hohen Burj Khalifa reckt sich in den Himmel, und die Sonne schimmert rosig auf Glas und Stahl. Er ist prachtvoll. Er sieht aus wie eine 3-D-Computergrafik.
Mir fällt eine traditionelle arabische Geschichte ein.
Ein junger Mann verliebt sich in eine Prinzessin. Er heiratet sie, doch als er sie in der Hochzeitsnacht berühren will, verwandelt sie sich in eine Flammensäule. Es stellt sich heraus, dass sie gar keine Prinzessin ist, sondern ein verkleideter Dschinn. Dschinns entstehen aus rauchlosem Feuer. Die feurige Dschinn-Braut ist grausam. Sie verbrennt das Fleisch des jungen Mannes, um ihn zu bestrafen, doch er findet nie heraus, worin sein Verbrechen besteht und weshalb er in der Nacht, die der sexuellen Leidenschaft vorbehalten sein sollte, so teuflisch gegrillt wird.
Die Geschichte verrät uns nicht den Grund, also können wir nur raten.
Vom Hotel aus schicke ich Annika Svensson eine E-Mail und spreche ihr noch einmal mein Beileid aus. Sonntags wird hier gearbeitet, also rufe ich um acht Uhr Ortszeit die Rechtsabteilung von Eastern Horizons an und bitte um die übersetzte Mitschrift von Farooqs Geständnis. Man sagt mir, dass das länger dauern werde als bei den übrigen Dokumenten, weil es komplexe technische
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