Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
einer gewissen Ebene alle wissen, wir müssen bestechen, aber wir müssen für den Fall des Falles die Spitze davon freihalten. Das ist eine sehr solide, vernünftige Konstruktion. Jeder weiß doch, dass in vielen Ländern Großaufträge ohne Bestechung nicht zu bekommen sind.«
Ich möchte das nicht kommentieren.
Unbestritten ist, dass Siemens über die Jahre 1 , 4 Milliarden Euro an Schmiergeldern gezahlt hat. Wie erklären Sie es sich denn, dass es dazu kommen konnte?
Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zur Zeit dazu nicht äußern kann. Sonst würden meine Anwälte fragen, ob ich den Verstand verloren habe. Noch läuft ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen mich und eine zivilrechtliche Auseinandersetzung mit Siemens. Nur eines: Siemens spricht meines Wissens nicht von »Bestechung«, sondern von »zweifelhaften Zahlungen«. Aber da muss man Siemens fragen.
Der Konzern will sechs Millionen Euro Schadenersatz von Ihnen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Cromme sagte: Der Schadenersatz soll schmerzhaft für Sie sein.
Manche Bemerkungen sind verwunderlich, aber ich kommentiere sie nicht.
Der Umgang von Siemens mit der Korruptionsaffäre offenbarte die enorme Kälte, die auf den Vorstandsetagen herrscht.
Meinen Fall kann man nicht generalisieren. Das ist, fürchte ich, Siemens-spezifisch. In anderen Unternehmen gibt es aber auch mal Streit, dann schmeißen sie einen raus …
… das passierte ständig, oder?
Schon, aber die Leute fliegen in der Regel raus, weil die Zahlen nicht stimmen. Die Geduld ist da geringer geworden. Das hängt mit den Finanzmärkten zusammen, aber auch mit einer überkritischen Öffentlichkeit. Die Journalisten schreiben auch schon mal den Sturz eines Managers herbei: Wie lange hält der sich noch? Dann fällt die Meute ein, und alles eskaliert.
Management war schon immer eine kalte Profession.
Würde ich so nicht sagen. Ich habe ja nicht hier in München in irgendwelchen anonymen Vierteln gewohnt, von denen meine Frau immer sagte: da zieht sie nicht hin, dort ist die Scheidungsrate zu hoch. Ich bin in Erlangen wohnen geblieben: 25000 der 100000 Einwohner sind dort bei Siemens. Wenn ich samstags über den Markt ging, kamen die Leute auf mich zu. Einer sagte zum Beispiel: Mein Sohn kriegt keinen Ausbildungsplatz. Das geht einem schon nach.
Haben Sie dem Mann geholfen?
Ich konnte seinen Jungen ja nicht einfach irgendwo reindrücken. Bei Siemens gibt es ausgefeilte Auswahlverfahren. Ich habe dafür gesorgt, dass es möglichst viele Ausbildungsplätze gibt. Und dass der Junge eine Chance bekam, sich zu bewerben.
Trotzdem bleibt die Grundregel in der Marktwirtschaft: Nicht der Mensch, die Rendite ist das Maß der Dinge.
Das ist schon stark übertrieben. Ich war viel in den Siemens-Fabriken auf der ganzen Welt unterwegs: Wenn Sie dort die Arbeiter an der Werkbank sehen, was für ordentliche Leute das sind! Da konnte ich mir sehr gut vorstellen: Der hat eine Familie und womöglich morgen keinen Job mehr. Da fragt man sich schon: Wofür arbeite ich eigentlich? Eine gewisse Selbstbefriedigung ist dabei, ein gewisser Ehrgeiz, den man in so einer Führungsposition befriedigt, die öffentliche Anerkennung. Aber am Ende – arbeitet man nur für die Aktionäre? Für irgendwelche reichen Leute, die mit Yachten in der Karibik herumfahren? Zu denen entwickele ich kein besonderes, emotionales Verhältnis.
Wie haben Sie die Frage für sich beantwortet: Für wen arbeiteten Sie?
Man muss einen Kompromiss finden. Wenn Sie nicht auf das Ergebnis und den Aktienkurs achten, ist das Unternehmen am nächsten Tag weg. Bei Investorentreffen stellte man mir immer die Frage: »Wie viele Beschäftigte haben Sie heute in Deutschland, und wie viele werden es in fünf Jahren sein?« Da saßen mir dann ein paar nette, junge Analysten gegenüber. Meistens waren es Frauen. Die waren noch kritischer. Wenn ich gesagt hätte: »Mir liegt schon am Herzen, die Beschäftigung zu halten«, dann hätten die gesagt: »Der Mann ist ungeeignet.«
Die Rollen scheinen schwer vereinbar. Einerseits Chef eines der größten Unternehmen der Welt zu sein, an den Finanzmärkten jedoch nur ein Bittsteller.
Lange war bei uns der Finanzchef für den Umgang mit den Analysten alleine zuständig. Ich dachte: Ich habe so viel zu tun, das tue ich mir nicht auch noch an. Das macht Gott sei Dank der Herr Baumann. Doch die Finanzmärkte wurden in den 1990 er Jahren so wichtig, dass ich mich selbst darauf einlassen musste. Mein
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