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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht mehr sagen konnte, wer sprach.
»Du wirst sehen. Du wirst sie sehen, und vielleicht wirst du verstehen ... und glauben ...«
    Und dann waren Barricks Augen offen, und er war allein in der Höhle. Die flüsternden Gestalten, die neben ihm gesessen hatten, waren verschwunden. Das Feuer war erloschen, aber etwas Licht fiel durch die eine ovale Öffnung in der Höhlenwand. Er blickte auf seinen Unterarm hinab. Drei Blutstreifen zeigten an, wo die Haut zerschnitten worden war, doch die Wunden schienen weitestgehend verheilt, als ob er Tage hier gelegen hätte und nicht nur Stunden. War es alles ein Traum gewesen? Hatte er sich selbst verletzt, sich den Kopf gestoßen, sich hier hereingeschleppt und sich alles nur zusammenphantasiert, während er besinnungslos dagelegen hatte?
    Barrick stand wacklig auf. Geträumt mochte er ja haben, aber geschlafen hatte er nicht — dass merkte er daran, wie müde er war. Er sehnte sich immer noch so sehr nach Feuer, also hinkte er hin, um nachzusehen, ob da noch ein Stückchen Glut war, doch zu seiner Verblüffung und Enttäuschung war die Asche weiß und kalt, als ob da schon jahrelang nichts mehr gebrannt hätte. Als er sich gerade abwenden wollte, sah er etwas halb vergraben in der Asche und Erde neben dem Steinring liegen. Barrick bückte sich, schonte dabei den verletzten Arm, der jedoch nicht wie sonst wehtat. (Ja, er war kalt und steif, aber schmerzfrei, als hätte er ihn in einen Bergbach gehalten, bis er taub geworden war.) Er scharrte in der Erde und legte einen halbzerfallenen Lederbeutel frei, der so lange im feuchten Dreck gelegen hatte, dass das Leder steinhart war. Als er das Leder auseinanderklaubte, fiel ein abgeschlagenes Stück von glänzend schwarzem Stein heraus, und schließlich entnahm er den Beutelüberresten ein sichelförmiges Stück rostigen Stahls. Stahl ... und Feuerstein? Er hatte jemandes Feuerzeug gefunden? Er musste es unbedingt ausprobieren! Selbst wenn das ganze restliche Zwischenspiel nur ein Erschöpfungstraum gewesen war, würde jetzt, da er Feuer hatte, alles besser werden.
    Er schlug seinen Fund in die Reste des Lederbeutels ein und steckte ihn in seinen Gürtel. Barrick war erschöpft und brauchte Schlaf, wollte aber nicht länger an diesem seltsamen Ort bleiben. Wenn er diese drei Schläfer nicht geträumt hatte, waren sie vielleicht nur kurz weggegangen und würden bald wieder da sein. Sie hatten ihm zwar nichts getan, außer dass sie irgendetwas Rätselhaftes mit seinem Arm gemacht hatten, aber sie hatten ihn eindeutig gefangen gehalten und diesen ganzen Irrsinn geredet, von Göttern und Türen und Falten in der Welt.
    Und sein Arm ... was hatte er von seinem Arm geträumt? Was hatten sie gemacht? Er hob die linke Hand, die nicht zusammengekrampft war wie sonst immer, wie schon seit Jahren, sondern einfach nur geschlossen. Mit etwas Anstrengung konnte er sie tatsächlich öffnen, wozu er so lange nicht in der Lage gewesen war. Vor Verblüffung lachte er leise.
    Was war da passiert?
    Und da war noch mehr gewesen: Er hatte im Traum wieder das dunkelhaarige Mädchen gesehen, und diesmal hatte er sogar ihren Namen geträumt — Qinnitan, und irgendwie fühlte sich das real an. Aber wenn der Traum real gewesen war, was war dann mit dem Rest?
    Nein, es war gefährlich, so zu denken, sagte sich Barrick. Das waren die Sorte Lügen, die die Priester den Leuten erzählten, um sie dumm zu halten — dass die Götter alles sahen, dass sie für jeden eine Aufgabe hatten. Aber wenn er sich's recht überlegte, war es nicht das gewesen, was die Schläfer gesagt hatten. Hatten sie nicht angedeutet, die Götter selbst seien der Feind?
»Das Zeitalter des Leidens wird beginnen«,
hatte ihm die eine erklärt,
»und wir werden alle dafür bestraft werden, dass wir sie so lange draußen in der Kälte gelassen haben.«
    Barrick Eddon trat aus der kuppelförmigen Höhle ins graue Zwielicht hinaus. Seine Augen schienen jetzt Feinheiten zu erkennen, die er vorher nicht bemerkt hatte — vielleicht ja, dachte er, weil er so lange in der dunklen Höhle gewesen war. Als er den Steinpfad hinunterging und wieder den weglosen Hang erreichte, fiel ihm noch etwas ein, das die Schläfer gesagt hatten, auf seine Frage, ob sie wirklich die Götter meinten — die Götter, die er kannte. Die längste Zeit seines Lebens hatte Barrick die Oniri geschmäht, die von seinem Volk so geliebten Orakel und Propheten, die den Willen der Götter zu kennen behaupteten, aber diese

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