Die Daemmerung
kenne dich sehr wohl — obwohl ich nicht wusste, dass du das sein würdest, als wir ausgeschickt wurden, dich zu suchen. Jetzt stellt sich mir die Frage: Sollen wir dir sofort die Gedärme aus dem Leib prügeln und damit das Silber aufs Spiel setzen, das wir bekommen, wenn wir dich abliefern?« Er wandte sich an seinen fast ebenso hässlichen Kumpan. »Meinst du, Seine Gnaden zahlt auch, wenn wir ihm diesen Sack Scheiße mit ein paar gebrochenen Knochen bringen?«
Sein Kumpan schien ernsthaft darüber nachzudenken. »Der kann ganz schön jähzornig werden, ich würde es mir nicht gern mit ihm verderben. Er wollte den hier lebendig, das ist alles, was ich weiß.«
»Wir können ja sagen, er ist ein paar Mal gestolpert und gegen eine Mauer gefallen«, schlug Kettelsmits Peiniger grinsend vor. »Wäre doch nicht das erste Mal, dass einer von unseren Gefangenen einen klitzekleinen Unfall hat.«
Gefangener? Seine Gnaden? Was war hier los? Bis zu diesem Moment hatte Kettelsmit nur das unangenehme Bild einer tüchtigen Abreibung vor Augen gehabt. Davon hatte er schon etliche überstanden, obwohl ihn der Gedanke schreckte. Aber das jetzt klang, als planten sie wirklich Schlimmeres.
Tolly?
Nahmen sie ihn in Hendon Tollys Auftrag fest? Hatte Elans Peiniger herausgefunden, was er getan hatte? Matty Kettelsmits Herz schlug plötzlich so schnell, dass ihm ganz schlecht und schwindelig wurde. »Ehrlich, das ist ein Irrtum.« Er versuchte sich dem Mann zu entwinden, aber der fuhr seine andere Pranke aus und verpasste ihm einen so kräftigen Faustschlag an den Kopf, dass Kettelsmit einen Moment lang nichts mehr sah als gleißend weißes Licht und nichts mehr hörte als ein lautes Klingen, so als wäre sein Kopf eine riesige Glocke, die die Stunde schlug. Als er wieder zur Besinnung kam, wurde er durch die Straßen geschleift: Seine Füße stolperten und schrammten über den Boden, während die beiden Männer ihn fast schon trugen.
»Noch ein Wort, und ich wiederhole das gern doppelt so fest«, sagte der mit dem Teiggesicht. »Oder besser, ich verdrehe dir einfach die Eier, bis du schreist wie ein kleines Mädchen. Wie wäre das?«
Kettelsmit hielt sich ans stille Gebet. Er wandte sich an Zoria, Zosim, die Drei Brüder und alle anderen Gottheiten, die ihm einfielen, darunter einige, die er sich vielleicht nur für seine Gedichte ausgedacht hatte.
Doch es wurde rasch klar, dass die unangenehmen Kerle ein anderes Ziel hatten als die Burg. Sie schleppten ihn durch eine Reihe enger Gassen, dann über die Brücke auf die Ostseite der Lagune und schließlich zu einer Schänke, die auf Pfählen übers Wasser hinausragte. Sie hatte kein Schild, nur einen rostigen Bootshaken über der Eingangstür. Drinnen war es dunkel, und als sie ihn grob über die Türschwelle hievten, fühlte sich Kettelsmit, als würde er in Kernios' höchsteigenen eisigen Thronsaal geschleift. Allerdings konnte er nicht umhin zu bemerken, dass es eher wie eine Stätte des Meeresgottes Erivor roch: Ihn umfing ein feuchtkalter Brodem aus Fisch, Blut und Salzwasser.
Sämtliche Gäste der Schänke schienen Skimmer zu sein. Als ihn die beiden Männer durch den niedrigen Hauptraum bugsierten, schauten alle mit schwerlidrigen, desinteressierten Augen her, so wie Frösche, die darauf warten, dass ein Störenfried weitergeht, damit sie ihren Quakgesang fortsetzen können.
Warum haben sie mich hierhergebracht?,
fragte sich Kettelsmit.
Ich kenne keine Skimmer außer diesem Seekräuterweib. Ich habe nie einem etwas getan. Warum sollte mir hier jemand Böses wollen?
Ein großer, aber gebeugter Skicomer trat vor sie hin. Er war, der ledrigen Haut nach zu urteilen, alt und trug ein richtiges Hemd mit Ärmeln, eine ziemliche Seltenheit unter diesen Männern, die selbst bei kaltem Wetter oft mit bloßem Oberkörper gingen. »Was wollt Ihr, Herren?«, fragte er mit kehliger Stimme. Noch immer schienen alle im Raum herzublicken, ruhig aber aufmerksam.
Der teiggesichtige Soldat bemühte sich gar nicht erst um einen respektvollen Ton. »Wir haben Geschäfte im Hinterzimmer, Fischgesicht. Und du bist schon dafür bezahlt worden.«
»Ah, gewiss«, sagte der alte Skimmer und trat beiseite. »Geht durch. Er erwartet Euch.«
Die Tür zum Hinterzimmer war so niedrig, dass Matty Kettelsmit sich ducken musste. Seine Bewacher halfen ihm, indem sie seinen Kopf so grob hinunterdrückten, dass es in seinem Genick knackte. Als er sich wieder aufrichten durfte, fand er sich in einem
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