Die Daemonen 01 - Die Daemonen
hinabgebändigt von der Schwerkraft.
Der Schrei der Menge, der zuerst noch wie das »Ohhhh!« angesichts eines grandiosen Schauspiels klang, wandelte sich, steigerte sich zum »Ahhhhh!« des Entsetzens, und Flucht setzte ein, in alle möglichen, widerstrebenden Richtungen. Der Hauptturm des Schlosses, die Krone der Stadt, zerbrach, als sei er aus Mürbekeks gebacken. Tonnen vornehm ziselierten Gesteins gerieten ins Rutschen, rissen wie bei einer Lawine immer mehr Bauteile, Erker, Schindeln und dämonische Wasserspeier in die Tiefe.
»Die Dämonen kommen!«, schrie eine Frau ganz richtig. »Die Dämonen!«
Inmitten der stürzenden, aber nichtsdestotrotz in nachdenklicher oder mürrisch gelassener Haltung verbleibenden Steinfiguren griff sich Irathindur seinen Gäus, barg ihn aus den geborstenen Dachsparren und Pfeilern, schleuderte ihn herum und drosch mit ihm auf das Schloss ein, wieder und wieder, den Leib des anderen als Abrisshammer benutzend. Das Schloss erhielt dunkle Flecken, als hätte es die Pest. Erst Dellen, die sich vertieften, dann Risse bekamen und dann dreckig aufplatzten, bis man durch die Löcher den strahlend blauenHimmel sehen konnte, der wiederum die überall sich fortpflanzenden Staubwolken wie explodiert aufleuchten lieβ.
Das Schloss schrumpfte und wurde dabei bucklig und unbedeutend. Die Menschen flüchteten jetzt nicht mehr vor den hagelnden Trümmern, sondern vor der Staubwolke, die durch Orison-Stadt rollte wie ein matter, alles verschluckender Wirbelwind. Menschen, an deren Haut sich Staub mit Schweiβ zu Mörtel mischte. Menschen, die in ihrer eigenen Stadt nicht mehr wussten, wohin. Vertraute Straβen hatten sich in Labyrinthe verwandelt. Nahm man eine falsche Abzweigung, rollte einem eine graue Brandungswelle aus Überresten entgegen und erstickte einen mit ihrer mitleidlosen Zuneigung.
Die Dämonen waren lebendig geworden, und sie feierten ein Totenfest.
»Gäus«, schrie Irathindur und wechselte dabei seine Gestalt schneller als der Flügelschlag von Tauben, »du hättest einfach nur mit mir zu teilen brauchen. Aber nun werde ich mit dir teilen. Du sollst lernen, was in mir vorgeht. Ich werde mit dir als Werkzeug deine liebste Stadt zermahlen! Du glaubst, ich hätte sinnlos Menschen verschlissen? Ich werde dir zeigen, was du angerichtet hast, indem du eine Dämonengöttin zum Hungertod verurteiltest!«
»Du solltest dir die Städte und Schlösser lieber als Vorrat aufheben«, wollte Gäus einwenden, doch er konnte nicht mehr sprechen. Sein Kopf war nur noch Schlamm. Ihm fiel so vieles ein, mit dem Irathindurs Zorn zu widerlegen war, doch die Göttin befand sichweit auβerhalb jeglicher Zugänglichkeit. Irathindur war wahnsinnig geworden, war es womöglich schon vorher gewesen, sicherlich noch nicht schon immer, aber spätestens seit die Anfälle ihn gezwungen hatten, sich zur Königin zu krönen. Alles Weitere war nur ein in die Tiefe führender Aufstieg gewesen.
Während Gäus hilflos durch Häuser, Mauern, Mörtel, Stroh, Lehm, Familien, Geschirr und Hausvieh gedroschen wurde, bedauerte er, dass er diesen Kampf nicht hatte gewinnen können, um den Untertanen weiterhin ein wohlmeinender König zu sein. Er wollte ihnen zuwinken, während er starb. Doch es ging nicht mehr. Alle seine Arme waren längst abgerissen und wurden von flüchtenden Bettlern als Andenken verkauft.
Orison-Stadt wurde nicht vollständig zermahlen. Die Verheerungen waren beträchtlich, aber nach dem etwa einhundertsten zerstörten Gebäude verlieβen die glühende Göttin plötzlich ihre Kräfte. Es war, als hätte man einer wild tanzenden Marionette die Fäden durchtrennt. Die Göttin sank zu Boden, ihr Gold nun matt und mürbe, krümmte sich zitternd zusammen und versuchte, aus den Verschütteten und Zerspellten Lebenskraft in sich aufzusaugen. Opfer gab es genug, doch es war schwer, an sie heranzukommen. Alles war mit Staub durchmischt, selbst die klagenden Seelen.
Gäus blieb achtlos liegen, ein blutiger, schwärzlicher Klumpen Fleisch voller Schutt und Sand. Seine Körperstacheln waren durch Dachstroh und ein paar verbogene Teelöffel ersetzt worden.
Aber er lebte noch. Was er wahrnehmen konnte von der Welt um sich herum, erinnerte ihn einmal mehr anden Dämonenschlund. Alles drehte sich, hatte keine echten Konturen, keinen Bestand, keine Bedeutung. Keine Liebe. Keinen Hass. Allenfalls Sehnsucht nach beidem. Sehnsucht nach Stillstand und zugleich nach selbstbestimmter Bewegung. Sehnsucht nach
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