Die Daemonen 01 - Die Daemonen
konnte diese Lebenskraft einsaugen! Sie wurde freigesetzt durch den Tod der Menschen und lieβ sich anschlieβend genauso aus der Luft, den Steinen, den Gräsern, Baumwipfeln und umhertollenden Windböen einatmen wie vormals nur die frei aus der Natur heraus gewachsene Lebenskraft! Das Töten und Sterben verringerte Irathindurs Nahrung nicht, im Gegenteil – es eröffnete ihm Tausende neuer kleiner Futterkrippen. Was für ein Narr er doch gewesen war! Vielleicht trunken von der Annahme, selbst wie ein Mensch zu sein, nur weil er im Körper einer Frau herumstolzierte, hatte er sich das Schützen von Menschenleben, das Bewahren von Lebenskraft zurAufgabe gemacht. Wie albern. Wie kurzsichtig.
Wie mütterlich. Lächelnd lieβ die Göttin ihre Kleider fallen und ging nackt und golden durch schaumiges Blut. So viel übersprudelnde, aufgebrochene, sich verströmende Lebenskraft! Warum war er nicht früher auf die Idee gekommen, aus sämtlichen Menschen einfach Menschenopfer zu machen? Warum hatte er angestrebt, die coldrinischen Plünderer abzuwehren, anstatt sie willkommen zu heiβen und zu einer groβangelegten, massenmordenden Invasion herauszufordern?
Wie kurzsichtig man doch sein kann, wenn man in der sterblichen Hülle eines Menschen feststeckt!
Die gesamte Osthälfte Orisons würde bald in Matutinschen Flammen stehen, während die Westhälfte staunend und furchtsam zusah. Immer noch hielt Irathindur den Pakt. Er griff nicht König Gäus an und auch nicht die vier dem Dämon Gäus immer noch treuen Baronate. Aber ansonsten würde nun bald alles Irathindurgehören. Mit all der roten und dampfenden Lebenskraft, die es dort abzuschöpfen galt wie Rahm.
Es gab nur leider ein Problem. Irathindurs Armee war unfähig. Hier an der Grenze behauptete sie sich noch ganz redlich, vor allem, weil sie von den Truppen des eroberten Fünften Baronats mit all ihrer Ortskenntnis unterstützt wurde, aber jenseits der Grenze, auf Feindesland, verwandelte sich das Heer in einen kläglichen, taumelnden Haufen. Angeleitet von feigen, jammernden Hohlköpfen wie Eiber Matutin und nun auch den übrigen hofschranzigen Koordinatoren hatte diese Armee nicht den Hauch einer Chance gegen Helingerd den Kaatens’ übungsgestählte Kristallrecken.
Aber eines Nachts im fackelbeschienenen Heerführerzelt, nach einer besonders reichhaltigen Mahlzeit aus in Schlachten steifgeschlagener Lebenskraft, hatte Irathindur eine Idee, wie er den Helingerdianern den entscheidenden Dolchstoβ versetzen konnte.
Er löste sich aus dem verwandelten Körper der ehemaligen Baroness und flog als geflügelte Spinne hinüber ins feindliche Lager bei Witercarz. Ab und zu lieβ er sich vom Wind tragen, ab und zu auch vom Rauch frischer Brände. Der offene Krieg hatte ihm die für das körperlose Fliegen nötige Lebenskraft bereitgestellt. Nun wollte Irathindur diese Gelegenheit nutzen, um sich selbst zum mächtigsten Lebenskrafternter der gesamten bekannten Welt
Er fand Helingerd den Kaatens, der sich gerade ein groβes Stück klebriger Schokoladentorte in den Mund schob, während er mit Generälen beisammenstand, um anhand von Karten und holzgefertigten Spielsteinendie taktischen Vorgehensweisen der kommenden Tage durchzusprechen. Seltsamerweise war der kleinwüchsige Kaiser Helingerd bei dieser Lagebesprechung – abgesehen von einer Herzmuschelschale aus rotem Kristall, welche sein Geschlecht schützte – splitternackt, aber seine Untergebenen schienen sich an derartige kaiserliche Exzentrik längst gewöhnt zu haben und benahmen sich ganz so, als wäre er normal gekleidet.
Vielleicht lag es an Helingerds eigentümlichem Aufzug, dass Irathindur während der Annäherung ein kurioser Gedanke kam: Rein theoretisch wäre es möglich gewesen, Frieden zu schlieβen, indem er in den nun spröde gewordenen Körper der Göttin wieder Weichheit, Wärme und ein weibliches Geschlecht einarbeitete. Dann könnte die Göttin sich mit Kaiser Helingerd paaren, ein paar nutzlose Kinder zeugen und solcherart – wie es wohl in den Zeiten vordem MagierOrison gehandhabt wurde – über den Osten des Landes herrschen. König Tenmac-Gäus würde wahrscheinlich eines Tages sogar anerkennen müssen, dass die Kinder Meridienns und Helingerds rechtmäβigere Herrscher wären als er, und alles Blutvergieβen wäre vorbei. Aber das war ja gar nicht in Irathindurs Sinne! Um die Quelle der Lebenskraft am Sprudeln zu halten, musste das Feuer unter ihr ordentlich angefacht werden.
Irathindur
Weitere Kostenlose Bücher