Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
damals beim ersten Anfahren bemerkt. Als ob die Wellen sich nicht an den Strand trauen würden.«
»Warum sollten Wellen sich nicht an einen Strand trauen?«
»Das weiß ich auch nicht. Die Hofschranze, die ich damals hier abgesetzt habe, wollte einen Mann suchen,der auf Kelm lebt. Ist aber ohne diesen Mann wieder zu rückgekommen.«
»Weil der Mann tot ist?«
»Was weiß denn ich? Interessiere ich mich etwa für das Leben anderer Leute?«, schnauzte Blannitt. Nur zu gut erinnerte er sich noch an die schwierige Anlandung in einer Bucht. Der Kiel seines treuen Mädels von Abertausenden von Steinreißzähnen bedroht. »Ich hoffe, du kannst schwimmen, Dämon. So richtig ankern kann man hier nämlich nirgends.«
Orogontorogon fiel auf, dass er während seiner Erlebnisse an der Südküste kein einziges Mal ausprobiert hatte, sich ins Meer zu stürzen. Ein an einen schwarzen Schwan mit acht Flügeln erinnernder Dämon hatte es getan und war kläglich ersoffen. Orogontorogon wusste nicht, ob er schwimmen konnte. Das war also eine Gelegenheit, es herauszufinden.
Kopfunter sprang er über Bord. Das Wasser schlug über ihm zusammen, war zu gleichen Teilen nachgiebig und fordernd. Es zerrte in verschiedene Richtungen an ihm und kühlte seinen heißen Leib. Aber atmen konnte man das Zeug auf keinen Fall, das wurde ihm nach ein paar Versuchen schmerzhaft klar.
Prustend durchstieß er die Oberfläche. Hier war alles einfacher, er konnte Boot und Insel sehen und auf Letztere zusteuern. Dazu paddelte er mit Armen und Beinen wie ein Hund. Von oben herab lachte Blannitt schallend, als er das sah. »Na warte«, dachte Orogontorogon, »dafür verpasse ich dir später eine Abreibung.«
Wellen wuchsen um ihn herum, hoben ihn an, drückten ihn abwärts, verschütteten sich über ihn. Orogontorogon hatte Mühe, den Kurs auf die Insel beizubehalten.Wasser war doch nicht so einfach, wie er anfangs angenommen hatte. Mehrmals tauchte der rote Dämon ab und stieß zwischen Felsklippen dahin, diese auch benutzend, indem er sich daran entlangzog. Auftauchen musste er nur, um Atemluft zu schöpfen. Im Dämonenschlund hatte man nicht atmen müssen. Aber nun, mit einem Körper, der frei war und sich überallhin bewegen konnte, war man durch so etwas niemals Endendes wie Atmen und Nahrung aufnehmen erneuten Beschränkungen unterworfen. »Kann man denn nirgendwo wirklich wild und frei sein?«, haderte Orogontorogon mit nicht nur seinem, sondern dem Schicksal aller Lebewesen.
Er erreichte keinen Strand, sondern eine Steilklippenküste. An dieser zog er sich mühsam hinauf, und sicherlich lachte Blannitt auch darüber.
Jenseits der Klippe jedoch begann die Insel, und Orogontorogon hatte noch niemals einen schöneren Ort gesehen als diesen. Hier gab es keine Dämonen, keinen Culcah, der dreigesichtig herumkommandierte, keine mit Mundgeruch schreienden Menschen, keine verwelkten Barone, keine Kinder, keine Stofftiere, keine waffenstarrenden Königinnen. Hier gab es mehr Grün, als Orogontorogon in diesem Winter seiner Freiheit jemals zu sehen bekommen hatte, bunte Vögel, die man jagen und erschrecken konnte, Blumen, die alle unterschiedlich geformt waren und freigiebig unterschiedliche Düfte verströmten, unvereistes Wasser von beeindruckender Transparenz, vielfältige Geräusche, die in seinen Schlappohren kitzelten, einen Wind, der nicht nach Frost schmeckte, Berghänge, die weder von Vogelkot noch von Schnee weiß gefärbt waren. Hier gab essogar die Farbe Rot – Orogontorogons eigene Lebensfarbe – in ungezähmter Natur. Rote Blütenkelche, rote Früchte, rote Schwanzfedern von Papageien, rote Augen von schwarzweißen Halbaffen, rote Blätter an Palmen, rote Ameisen, rote Hundertfüßler, rote Adern im Gestein, roter Saft, der aus Baumrinden quoll, rotes Moos und rote Muscheln. Lebendigkeit, verströmt wie Blut.
Schon auf den ersten Blick hatte Orogontorogon sich in die Insel Kelm verliebt, aber er hatte Zeit für mehr als tausend Blicke.
Es wurde dunkel, und davor, der Himmel: flammend rot!
Die leuchtenden Städte traten erneut in Erscheinung. Unerreichbar und dennoch tröstlich in ihrer Anwesenheit. Auch aus dem Dämonenschlund heraus hatte man manchmal den Himmel sehen können und am ihm des Nachts die Lichter, die vom fernen Leben zeugten.
Indieser Nacht setzte Orogontorogon ein paar Bäume in Brand. Er fürchtete kein Tier, das sich an sein Lager schleichen mochte. Er wollte einfach nur seine Umgebung besser sehen können. Es
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