Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
jegliche Bedeutung ist?«
»Selbstverständlich«, antwortete die Greisin bestimmt. »Vieles im Leben ist ohne jegliche Bedeutung. Mehrmals meint man, vor Liebeskummer nicht mehr weiterleben zu können, aber wenn man sich dann Jahre später daran zurückerinnert, ist einem das Empfundene höchstens noch peinlich. Wenn die Anzahl der Opfer die der Überlebenden übersteigt, dann ist ein Krieg es nicht mehr wert, geführt zu werden.«
»Aber was soll man in einem solchen Fall denn tun? Wie kann man einem grassierenden Krieg dann noch Einhalt gebieten? Selbst als Königin?«
»Indem man die Waffen streckt. Sich unterwirft. Überlebt um jeden Preis. Sich darbringt und opfert. Ich an Eurer Stelle, meine Königin, würde das Größte aller Opfer niemals ausschließen. Aber wie gesagt: Noch ist es ja nicht so weit. Ihr könnt in Zegwicu eine Entscheidung herbeiführen. Tut es, und alles, was Ihr beschlossen habt, wird im Nachhinein richtig gewesen sein.«
»Ja«, dachte die Königin, »die Historie wird von den Siegern geschrieben werden. Wenn wir gewinnen, wird alles gut sein. Wenn die Dämonen gewinnen, ist kein Mensch jemals im Recht gewesen. Und wenn am Endenur noch Coldriner übrig sind, wird Orison nichts anderes werden als eine Fußnote in einer gewaltigen, glorreichen Expansionsgeschichte. Oh, Taisser, Taisser – wie konntest du mich nur so im Stich lassen nach Jahrzehnten der Treue? Jetzt, da ich deinen Beistand am Nötigsten habe, bist du fern oder tot, in Not oder nirgends. Wird Minten Liago dich mit sich führen als seinen Waffenträger, so wie du damals in den Schlachten Irathinduriens meine Waffen trugst?«
Sie hoffte es und war beinahe ganz allein mit ihrem Hoffen.
Nur zweihundert Schritt weiter westlich, am anderen Rande des Lagers, gab es noch ein paar Menschen, die sich an den Namen Minten Liago erinnern konnten.
Diese Menschen waren einige der Wolkenstreichler sowie der Ritter Stummsturm.
Wenn er mit seinem Sprecher im Zelt alleine war, konnte der Ritter seinen Helm abnehmen und darunter das Gesicht einer alt gewordenen Frau offenbaren, die früher einmal auf den Namen Jinua Ruun gehört hatte.
Sie dachte noch manchmal an ihren früheren Liebhaber Minten zurück, daran, was sie zusammen alles erlebt hatten und wie sie sich in den Flammen eines Schlosses voneinander trennten. Wie sie in den rußenden Kellern ihrer Kindheit ein Überleben gefunden hatte, dann zu den Wolkenstreichlern flüchtete und ein seltsam leeres Dasein begann, das erst durch den Ausbruch sämtlicher Dämonen wieder einen Sinn und eine Richtung erhielt.
Sie war immer eine Kriegerin gewesen, und somit innerlich einsam.
Für eine kurze Zeitspanne jedoch, für weniger als ein volles Jahr, hatte sie einen Gefährten gehabt, der ihr – seinen diversen Schwächen zum Trotz – unerklärlich ebenbürtig gewesen war. Minten Liago. Faustkämpfer. Leibwächter. Plünderer.
Sie dachte an ihn, wenn ein Kampf bevorstand, an die Bärenzähne, die sein Lächeln zu einer Fratze verzerrten.
Sie dachte an ihn, dann setzte sie sich den Helm wieder auf, wurde für alle anderen zum Ritter und kämpfte.
noch sechs bis zum Ende
Minten Liago wanderte weiter gen Osten.
Jenseits von Ulw erreichte er die nördlichen Ausläufer des früheren Gramwaldes, nun nur noch eine fruchtlose Steppe, in der Schlacke und Schnee sich in Schichten mischten. Er konnte etwas spüren, etwas, das hier früher gewesen sein musste, wie auf einem Friedhof, all das Leben, beendet und geerdet. Aber es war nicht zu greifen und auch nicht richtig zu be greifen. Es war, als würde der Geist eines Waldes ein Lied in einer fremden Sprache singen.
Danach musste Minten sich weiter nördlich halten, um die Hauptstadt nicht zu verfehlen. Seine Schritte beschleunigten sich manchmal. Flüchtlinge, an denen er vorbeikam, meinten einen Schemen zu sehen, der vorüberzog von einem Horizont zum anderen innerhalb zweier Augenblicke, eine verhängte Kutsche vielleicht, nur kleiner und von menschlicher Form.
Minten begegnete Seltsamkeiten.
Ein abgerissener Mann wollte ihm ein Gemälde verkaufen, das er wohl als einzige Habe aus schwelenden Trümmern hatte retten können. Das Gemälde zeigteeinen Versorgungskarren der Armee, der auf vier menschlichen Beinen lief anstatt auf Rädern. Am unteren Rand war das Bild signiert mit dem Namen Dirgin Kresterfell . Minten besaß keine Stücke, um ein Bild zu kaufen, und der Mann zog weiter und pries auf leerer Straße das Bild an, das er
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