Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
Snidralek die tiefhängenden Regenwolken und lernte so, dass diese schweren, dunklen Gebilde aus feuchtem Gas bestanden. Oberhalb der Wolken konnte man sich nicht mehr in der Flugrichtung verirren, denn tageweit entfernt blitzten die schneebedeckten Gipfel der Wolkenpeinigerberge in der Sonne, jene Gebirgskette, die den Nordrand des Landes gegen Coldrin abriegelte. Snidralek lernte, dass die Sonne immer schien, auch dann, wenn unten trübes Regenwetter herrschte. Womöglich, dachte er sich, schien die Sonne auch in der Nacht, und die Nacht war eine Art Wolke, die sich zwischen die Sonne und die Welt schob.
Er flog nach Norden. Mit Vögeln um die Wette. Es war eigenartig, mit Wesen zusammen zu sein, die keine Dämonen waren. Eigenartig – und gleichzeitig vertraut, wie aus jener fernen Zeit, bevor der Dämonenschlund ihnen allen zur Zuflucht hatte werden müssen.
Snidralek tauchte wieder unter die Wolken, um etwas vom Land zu sehen. So überflog er das Innere Schloss des Sechsten Baronats, das nächste Angriffsziel von Culcahs Sauhaufen. Danach den Fluss Erifel, angeschwollen und aufgewühlt vom langen Regen. Seine Ufer waren ungenau und gingen nahtlos in den Matsch des Landes über.
Noch weiter nördlich lagen links das Innere Schloss des Siebten Baronats und rechts das Innere Schloss des Fünften Baronats. Die Ländereien liefen hier schon sehr spitz zu. Für einen Vogel war es eine Alltäglichkeit, alle drei Baronate mit einem Blick sehen zu können.
Dann kam Orison-Stadt in Sicht. Fast ein kleines Gebirge für sich. Häuser türmten sich übereinander wie die Bauten von Insekten. In der Mitte, als Krone der Stadt, das Königsschloss. Vor einundzwanzig Jahren im Duell zweier Dämonen zum großen Teil zerstört, hatte man es längst wieder aufgebaut: noch prächtiger, verzierter, zuckerbackwerkhafter als zuvor. Es wirkte nicht mehr ganz so abgerundet und sanftkurvig wie vor dem Krieg. Die etlichen Erker, Fialen, Spitzbögen, Streben, Triforien, Kapitelle, Strebepfeiler und Verzierungen verliehen ihm nun eine stachelige, wehrhafte Aura.
Die Daseinsspur des anderen Dämons zweigte hier ab und verlor sich irgendwo in den Bezirken der Reichen. Snidralek konnte nur den nicht vorhandenen Kopf schütteln über so viel Dämlichkeit, im Angesicht des eindeutigen Zieles noch falsch abzubiegen. Der andere Dämon war eben auch nur ein Soldat gewesen. Ein Soldat ohne Befehle war ein Nichts.
Snidralek dagegen sah sich nicht als Soldaten. Er war gegen seinen Willen im Heer. Königin zu werden erschien ihm als eine wirklich ansprechende Alternative. Männlich war er nur aus Verlegenheit, weil das beim Militär die meisten so machten. Das ließ sich auch flugs wieder ändern.
Er flog noch eine Weile kreuz und quer über die Stadt und genoss das Gewimmel der Menschen, das kaum koordinierter wirkte als Culcahs Sauhaufen. Aber wenigstenssahen die Menschen alle gleich aus, dadurch entstand eine gewisse optische Harmonie.
Er wäre auch noch weiter draußen herumgestreunt, wenn nicht ein Turmfalke scheele Blicke auf ihn geworfen hätte. Eingedenk dessen, was einem seiner Vorgänger bei diesem Experiment wohl zugestoßen war, zog Snidralek es vor, dem blassrosa Tod in der Luft zu entfleuchen.
Er drang in das Königsschloss ein. Drang sogar durch Mauern und durch einen unachtsamen Küchenjungen, der sich mächtig erschreckte und scheppernd Geschirr fallen ließ. Snidralek durcheilte ein Gedärm von Gängen auf der Suche nach der Königin und fand sie schließlich, kronenlos zwar, aber unzweifelhaft königlich, als Lae angesprochen von ihrem Berater, in einer Kammer hinter dem eigentlichen Thronsaal, auf einem Langsessel lagernd beim Tee. Sie war recht ansehnlich, hatte sich für ihre Mitte vierzig Jahre noch ausgesprochen gut gehalten, was aber auch kein Wunder war: Sie war die Königin und konnte sich die beste Pflege leisten, die es in Orison zu kaufen gab. Vielleicht lagerte sie ein wenig breitbeiniger auf dem Langsessel, als es für eine Dame schicklich war, aber ihren Berater schien dies nicht zu stören.
Königin Lae I. nahm sich einen Mürbekeks, steckte ihn sich ganz in den Mund, und schwupp! – war der Dämon Snidralek über ihren Gaumen in sie eingedrungen.
Nun passierte jedoch etwas ganz und gar Unerwartetes.
Snidralek fand im Inneren der Königin überhaupt keinen Halt. Alles verkehrte sich gegen ihn. Wändestülpten sich vor. Windungen krampften. Säuren wollten ihn zersetzen. Winzige, formlose Teilchen
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