Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten
ein Segler entgegengekommen, der dann weiterfuhr in Richtung Witercarz, erinnert Ihr Euch noch?«
»Vage.«
»Ist es, wenn es Segelverkehr zwischen Kirr und Witercarz gibt, nicht naheliegend, davon auszugehen, dass Witercarz von den Bescheidenen besetzt ist und wir uns demnach die ganze Zeit in Feindesland aufhalten?«
»Selbstverständlich gehe ich davon aus, dass die Bescheidenen in Witercarz mindestens einen Vorposten haben. Deshalb fahren wir ja hin: wegen der Vorräte. Aber schon vom Dämonenschlund aus konnte ich hören, dass in Witercarz etwas lebt. Etwas, das anders klingt als das Leben in Kirr, Cer, Tjet oder Aztrivavez.«
»Etwas … Großes?«
»Sagen wir lieber: etwas Fremdes. Und ich möchte dieses Fremde gerne kennenlernen.«
Die Steuerfrau blinzelte abermals, kehrte dann aber auf ihren Posten zurück.
Das Schiff bahnte sich seinen Weg, wo immer das Passieren möglich war. Mehrmals musste die Besatzung von Bord gehen und mit Schaufeln eine Sandrampe aufschütten oder hinderliche Felsbrocken aus dem schmalen Weg stemmen, aber die Steuerfrauen fanden auf die spärlichen Anweisungen des Kapitäns hin stets eine Passage.
Und dann entdeckten sie das andere Schiff.
Es war ein Bescheidenen segler. Womöglich dasselbe Schiff, das sie bei der Angriffsfahrt auf Kirr schon einmal gesehen hatten. Es fuhr nicht, und es lag auch nicht gekentert auf der Seite. Es hing in mehr als zwanzig Mannslängen Höhe an einer schrägen Felswand fest, verhakt mit all seiner Takelung und mit den zerborstenen Planken seines Rumpfes. Es war zerschmettert und zermalmt. In den zerfetzten Segeln spielte noch der Wind, und ein Matrose, von der Sonne verdorrt wie eine Backpflaume, hing steif aus den Wanten, aber nichts regte sich so, wie etwas Lebendiges sich geregt hätte.
»Bei Gott!«, ächzte Jitenji. »Wie ist es bloß da hinaufgekommen?«
»Nur ein Großer kann das getan haben«, hauchte Bakenala.
»Vielleicht wurde es auch von einer Flutwelle hochgespült?«, mutmaßte Koaron, kam sich aber gleich darauf albern vor. Die Flutwelle, vor der sie selbst vor Kurzem Reißaus genommen hatten, war kaum kniehoch gewesen. Was ausreichte, um ein Schiff zu unterspülen und heftig gegen einen Felsen zu schmettern, aber nicht in zwanzig Mannslängen Höhe.
»Vielleicht ist es nicht hinaufgeschleudert worden, sondern irgendwo abgerutscht«, schlug Glai als des Rätsels Lösung vor. »Ist doch denkbar, dass es oberhalb auch noch irgendwo segelbare Pfade gibt. Für Ortskundige jedenfalls.«
Kapitän Adain stellte sich neben Jitenji. »Und? Ist es dasselbe Schiff, das wir vor Kirr sahen?«
»Es ist auf jeden Fall die gleiche Bauweise. Aber ob es genau dasselbe ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Dazu ist es zu zerstört.«
»Aber es hatte Besatzung, es war nicht nur ein aufgegebenes Wrack«, dachte Adain laut nach. »Und das bedeutet: Es könnte noch Proviant an Bord sein.«
»Aber wie kommen wir da ran?«, fragte Tibe bang.
»Ich werde klettern«, meldete Koaron sich freiwillig. »Bakenala? Glai?«
Glai wollte mitkommen, Bakenala traute der Stabilität der Felsen nicht.
Kapitän Adain rieb sich begeistert die Hände. »Ich gehe ebenfalls rauf. Ich bin die lotrechten Wände des Dämonenschlunds hochgeklettert. Dagegen ist das hier doch ein Kinderspiel.«
Kurze Zeit später hingen Adain, Koaron und Glai in der Wand. Adain benutzte Das Schweigen , um Kerben ins Gestein zu hauen, und alle anderen staunten darüber, dass diese Klinge stabiler war als Fels. Genau genommen war sie das gar nicht: Sie war nur stabiler als oberirdischer Fels.
Adain erreichte das Wrack als Erster. Als er begann, an den geborstenen Masten herumzuturnen, bewegte sich das gesamte Schiff knarrend und stöhnend. Sein Halt schien nicht für die Ewigkeit gemacht.
»Wir könnten es zum Absturz bringen und unten in aller Ruhe durchsuchen«, schlug Glai vor.
»Meint ihr Menschen nicht, dass an Bord noch jemand am Leben sein könnte?«, fragte Adain gut gelaunt und setzte seinen Erkundungsgang über das ziehharmonikaartig in sich zusammengedrückte Deck fort. Während Glai zu untersuchen begann, auf welchen Felsenstellen der Rumpf auflag und wie man das Schiff am einfachsten aus der Wand lösen könnte, und während Koaron sich dem Toten näherte, der kopfüber hing mit leeren Augenhöhlen und einer Haut wie dunklem Faltenleder, begab Adain sich unter Deck. Die Kajüten waren ein Chaos aus unmöglichen Winkeln. Aber er schob und zwängte seinen recht
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