Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten
zierlichen Leib hindurch und fand tatsächlich jemanden, der wahrscheinlich der Kapitän gewesen war. Bei den Bescheidenen war es schwer, anhand von Kleidung Ränge zu unterscheiden, aber dieser Mann saß durchbohrt von einer abwärts gerammten Mastspitze auf seinem Schreibtischsessel vor einem aufgeschlagenen Logbuch und vermittelte immerhin den Eindruck, auch im Tode noch auf seinem Posten zu sein.
Das Buch war nicht umblätterbar, die totenstarren Arme des Mannes schienen es festzuklammern wie einen noch nicht fertiggestellten Schatz, aber Adain beugte sich so um das komplizierte Arrangement aus Holz und Dörrfleisch und Knochen herum, dass er zumindest die aufgeschlagene Doppelseite entziffern konnte:
ist der Auftrag des Königs ja derselbe wie immer: Den rätselhaften Bewegungen, die er in Witercarz wahrzunehmen glaubt, nachzugehen. Herauszufinden, was es damit auf sich hat.
Nun ist es insgesamt schon das vierte Mal, dass ich hier bin, und jedes Mal verirre ich mich in den Straßen. Der Sand hier ist anders als in der Wüste, weniger aschig, mehr wie ein Strand unter Klippen, an den die Große Weiß-Sagung nicht heranreichen konnte. Unser Schiff bewegt sich weich und lautlos, als glitte es durch Watte. Die Straßen sind düster und trutzig und riechen alle nach Essig. Und es ist eigenartig, aber während wir uns einen möglichst geraden Weg durch Witercarz bahnen, scheinen wir dreimal an demselben Haus mit der auffällig gelben Tür vorüberzugleiten. Als sei die Stadt nur eine Bühnenkulisse, die um uns herumbewegt wird, um Räumlichkeit vorzutäuschen. Der Junge, den ich schon beim letzten Mal mit dem Anfertigen einer Karte beauftragt habe, rauft sich die Haare und weint und beteuert, es sei nicht seine Schuld.
Früh ist es heute dunkel geworden. Wir segeln durch die Straßen und haben alle Deckslampen entzündet, um auch in die Seitengassen zumindest ein Stück weit hineinblicken zu können.
Mein Erster Maat ruft mich. Etwas geht dort draußen vor. Ich werde mich selbst kümmern müssen, damit keine grundlose Panik ausbricht wie letztes M
Adain konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Tapferer kleiner Befehlsempfänger«, sagte er leise zu dem Toten, »diesmal war die Panik wohl nicht ganz so grundlos.« Der Mast hatte ihn mitten im Wort ereilt. Für einen Kapitän kein schlechtes Ende.
Nirgends war Leben zu finden, aber auch keine weiteren Leichname. Adain fragte sich, wo die Besatzung hin war. Hatte sie die Havarie überlebt und sich zu Fuß durchs Gebirge aufgemacht in Richtung Kirr? Nein, denn dann hätten sie sicherlich die Vorräte mitgenommen. Die waren aber noch in reichlicher Menge vorhanden.
Adain kehrte wieder an Deck zurück. Das Schiff verlagerte sich stöhnend. Der unruhig an den Segeln rüttelnde Wind tat sein Übriges, um den Eindruck zu verstärken, dass ein Absturz des Schiffes nur noch eine Frage von Augenblicken sein konnte. »Keine Überlebenden, aber reichlich Beute für uns«, berichtete er. »Lasst es uns runterwuchten, es ist zu kippelig hier oben.«
Während unten die Miralbra Liv in Sicherheit fuhr, fertigten Adain, Koaron und Glai sich Hebel aus Mastbruchstücken und begaben sich damit in die Felswand. Anschließend stocherten und stemmten sie so lange zwischen Fels und Schiffsrumpf herum, bis das Schiff sein ohnehin schon heikles Gleichgewicht einbüßte und staub- und felsendonnernd zu Tal krachte. Anschließend kletterten sie alle in den von Adain gehauenen Kerben hinterdrein.
Unten jubelte man schon über die geborgenen Vorräte. Zwei der Wasserbehälter waren schon vorher zerbrochen gewesen, zwei weitere jetzt frisch durch den Absturz zerstört, aber Wasser gab es durch den kürzlichen Platzregen noch zur Genüge. Schiffszwieback, Pökelfisch, Küstenerdäpfel und grüne Tomaten jedoch sorgten für schmatzende Münder und erheblich verbesserte Laune. Adain beobachtete kopfschüttelnd, wie abhängig die Menschen von ihren Mägen waren. Sie taten immer so, als hätten sie sich Werte und Religion verliehen, aber letzten Endes lief bei ihnen alles darauf hinaus, sich möglichst ungestört den Bauch vollschlagen zu können. Dann scherzten sie und lachten und stimmten sogar wieder ihre kuriosen Lieder an, und vorher hatten sie ihr ganzes Dasein ihrer neugewonnenen Freiheit zum Trotz ausschließlich in schwarzen Farben gemalt.
Der Kapitän gönnte seiner Mannschaft eine ausgiebige Mahlzeit. Dann fuhr die Miralbra Liv weiter, und schon nach wenig mehr als vierhundert
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