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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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verzeihen gibt. Man liebt eigentlich auch nicht; oh, diese Empfindung ist höher als die Liebe! Das Furchtbarste ist, daß diese Empfindung so schrecklich klar und eine solche Freude ist. Wenn sie noch fünf Sekunden länger dauerte, so würde die Seele es nicht aushalten und müßte vergehen. In diesen fünf Sekunden durchlebe ich ein Leben, und ich würde für sie mein ganzes Leben hingeben, weil sie das wert sind. Um zehn Sekunden zu ertragen, muß man sich physisch umgestalten. Ich glaube, der Mensch muß aufhören zu zeugen und zu gebären. Wozu Kinder, wozu eine weitere Entwickelung, wenn doch das Ziel erreicht ist? Im Evangelium heißt es, daß die Menschen in der Auferstehung nicht zeugen und gebären werden, sondern sein werden wie Engel Gottes. Das ist ein Fingerzeig. Ihre Frau kommt nieder?«
    »Kirillow, haben Sie dieses Gefühl oft?«
    »Alle drei Tage einmal, alle Woche einmal.«
    »Leiden Sie nicht an Epilepsie?«
    »Nein.«
    »Dann werden Sie sie noch bekommen. Nehmen Sie sich in acht, Kirillow; ich habe gehört, daß die Epilepsie genau in dieser Weise beginnt. Mir hat ein Epileptiker diese einem Anfalle vorhergehende Empfindung eingehend geschildert, genau so wie Sie; auch er gab als Zeitdauer fünf Sekunden an und sagte, mehr könne man nicht ertragen. Denken Sie an Muhammeds Krug, der nicht völlig ausfloß, während der Prophet auf seinem Rosse das Paradies durchflog. Der Krug, das sind eben jene fünf Sekunden; und das Paradies erinnert sehr an Ihre Harmonie; Muhammed aber war Epileptiker. Nehmen Sie sich vor der Epilepsie in acht, Kirillow!«
    »Die kommt zu spät!« erwiderte Kirillow mit stillem Lächeln.
     
VI.
     
    Die Nacht verging. Schatow wurde gescholten, fortgeschickt, wieder zurückgerufen. Marjas Angst um ihr Leben stieg auf den höchsten Grad. Sie schrie, sie wolle »unbedingt, unbedingt« leben und fürchte sich zu sterben: »Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben!« wiederholte sie einmal über das andere. Wäre nicht Arina Prochorowna dagewesen, so würde die Sache einen sehr schlimmen Verlauf genommen haben. Allmählich gewann diese vollständig die Herrschaft über ihre Patientin. Letztere hörte wie ein kleines Kind auf jedes Wort und jeden Ruf von ihr. Arina Prochorowna wirkte durch Strenge, nicht durch Freundlichkeit, verrichtete aber ihre Obliegenheiten meisterhaft. Es begann zu dämmern. Arina Prochorowna erwähnte auf einmal, daß Schatow soeben auf die Treppe hinausgelaufen war, um zu beten, und sie fing an zu lachen. Marja lachte ebenfalls in einer boshaften, giftigen Art, als ob ihr von diesem Lachen leichter ums Herz würde. Zuletzt wurde Schatow ganz und gar hinausgejagt. Ein feuchter, kalter Morgen brach an. Schatow drückte sich mit dem Gesichte gegen die Wand, in die Ecke, genau so wie tags zuvor, als Erkel gekommen war. Er zitterte wie Espenlaub und fürchtete sich davor, etwas zu denken; aber sein Geist klammerte sich in Gedanken an alles, was sich ihm darbot, gerade wie es im Traum zu geschehen pflegt. Zukunftsphantasien schlugen ihn fortwährend in ihren Bann und zerrissen wieder fortwährend wie mürbe Fäden. Aus dem Zimmer erscholl endlich kein Stöhnen mehr, sondern ein furchtbares, rein tierisches Geschrei, das gar nicht zu ertragen war. Er wollte sich die Ohren zustopfen; aber er konnte es nicht und fiel auf die Knie, indem er bewußtlos wiederholte: »Marja, Marja!« Und siehe da, endlich erscholl ein Schrei, ein neuer Schrei, bei welchem Schatow zusammenfuhr und von den Knien aufsprang, der schwache, abgebrochene Schrei eines kleinen Kindes! Er bekreuzte sich und lief ins Zimmer. In Arina Prochorownas Händen schrie und zappelte mit den winzigen Händchen und Füßchen ein kleines, rotes, runzeliges Wesen, das erschreckend hilflos und wie ein Stäubchen vom ersten besten Windstoße abhängig war, aber doch schrie und sich kundgab, als hätte es ebenfalls ein volles Recht auf das Leben ... Marja lag wie bewußtlos da; aber eine Minute darauf schlug sie die Augen auf und sah Schatow ganz seltsam an: das war ein ganz neuartiger Blick; was für ein Blick es eigentlich war, das vermochte er noch nicht zu begreifen; aber nach seiner Erinnerung hatte er einen solchen Blick früher an ihr noch nie kennen gelernt.
    »Ein Knabe? Ein Knabe?« fragte sie Arina Prochorowna mit schwacher Stimme.
    »Ja, ein Knabe!« rief diese zur Antwort, während sie das Kind wickelte.
    Als sie damit fertig war und sich anschickte, das Kind zwischen zwei Kissen quer über

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