Die Daemonenseherin
»Mir fehlt nichts. Er hat mich nur zu Tode …« Ihre Stimme brach, ihre Hand begann zu zittern, ein leichtes Vibrieren, das er unter seinen Fingern spürte, die noch immer ihr Gelenk umschlossen, und das sich auf ihren Körper übertrug.
»Hab keine Angst«, sagte er, »ich werde auf dich aufpassen.« Das wollte er wirklich. Er wollte sehen, wie die Angst aus ihren Augen wich und sich darin wieder Hoffnung breitmachte, ebenso sehr wünschte er sich plötzlich, ihr Lächeln zu sehen. Kein gezwungenes, wie sie es ihm bisher gezeigt hatte, sondern ein aufrichtiges. Im Augenblick jedoch gab er sich damit zufrieden, dass ihr Zittern allmählich nachließ und sie sich beruhigte.
»Danke.« Sie wich seinem Blick aus und sah verlegen zu Boden.
Erst da wurde Logan bewusst, dass er noch immer ihre Hand hielt. Er zog seine Hand zurück und fragte: »Hast du Whisky zu Hause?«
»Nein. Warum?«
»Du siehst aus, als könntest du diesmal etwas Stärkeres als Tee brauchen.«
*
Alessa konnte es immer noch nicht glauben, sie hatte sich tatsächlich von Logan in einen Pub schleppen lassen. Er war kurz auf der Toilette verschwunden und hatte sich das Blut aus dem Gesicht gewaschen. Als er an den Tisch zurückkam, schien es – von einer kleinen Platzwunde an der Stirn einmal abgesehen –, als wäre ihm nichts geschehen. Von ihrem Platz in der Ecke beobachtete sie, wie er zur Bar ging, um die Getränke zu ordern. Der Pub war gut gefüllt, doch die Sitzplätze waren zum Teil in Nischen versteckt, sodass sie nicht das Gefühl hatte, sich inmitten einer Menschenmenge zu befinden.
Die Luft war heiß und stickig, warm genug, um den Parka auszuziehen. Alessa legte die Jacke neben sich auf die Bank und tastete nach der Stelle in ihrem Nacken, an der der Chip unter ihrer Haut saß. Das Stück Alufolie hatte sich gelöst und war davongeflattert, als der Maskierte sie angegriffen hatte. Obwohl die Stelle unter dem Kragen ihres Pullovers verborgen war, fühlte sie sich ohne die schützende Folie eigenartig nackt. Hier im Pub würde ihr nichts passieren. Sie konnte nur hoffen, dass draußen kein mobiles Team mit einem Chipleser unterwegs war.
Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sofort blitzte das Bild des Maskierten in ihrer Erinnerung auf. Wie hatte er sie gefunden? Die Vorstellung, dass er ihr womöglich bei ihrer Flucht aus der Wohnung des Professors gefolgt war, sie seitdem beobachtet hatte – immer in ihrer Nähe –, war kaum zu ertragen. Sie wusste nicht einmal, wie er aussah. Er konnte überall sein, selbst hier. Vielleicht saß er am Nebentisch, ohne dass sie ihn erkannte. Wie sollte sie jemals wieder Ruhe finden, solange sie wusste, dass er irgendwo dort draußen war?
Ich werde auf dich aufpassen.
Logans Worte stiegen in ihrer Erinnerung auf und vertrieben den Anblick des Maskierten. Sie öffnete die Augen und sah sich nach ihm um. Er ließ gerade das Wechselgeld in seiner Hosentasche verschwinden, griff nach den beiden Gläsern, einem Whiskytumbler und einem Pint Bier, und kam an den Tisch zurück. Den Whisky stellte er ihr vor die Nase, das Pint war für ihn.
»Trink«, sagte er, als er sich zu ihr setzte, »dann fühlst du dich bald besser.«
»Danke.« Sie schloss ihre Finger um das Glas, ohne es vom Tisch zu heben. Langsam schwenkte sie es und ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit darin kreisen, was eine beinahe hypnotisierende Wirkung auf sie hatte.
Es fühlte sich seltsam an, mit Logan hier zu sitzen, ebenso befremdlich war die plötzliche Vertraulichkeit, die in der Gasse zwischen ihnen entstanden war. Sie hatte den Trost gebraucht, und für einen Moment hatten ihr seine Nähe und seine Berührung das Gefühl gegeben, normal zu sein. Als ihr bewusst geworden war, dass es gerade diese Normalität war, nach der sie sich so sehr sehnte, und sie drauf und dran war, sich nach etwas zu sehnen, das sie nicht haben konnte, hatte er ihre Hand freigegeben.
Der starke Alkohol würde den schalen Geschmack der Angst und Einsamkeit vertreiben, der sich in ihrem Mund breitgemacht hatte.
Immer noch mit zwei Händen hob sie das Glas vom Tisch, roch daran und nahm das rauchige, torfige Aroma, das ihre Sinne kitzelte, in sich auf. Nach der ersten würzigen Note folgte der beißende Geruch des Alkohols. Als er ihr in die Nase stieg, begann sich der Dämon zu regen. Da wurde ihr klar, dass sie den Whisky nicht trinken durfte. Das starke Gebräu würde ihren Geist vernebeln und dafür sorgen, dass sie die Kontrolle über
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