Die Daemonenseherin
Straßenzug dicht an dicht stehender Reihenhäuser abgelöst und auch diese rückten bald weiter auseinander, machten kleinen Bungalows und Einfamilienhäusern Platz, je weiter sie in die Randbezirke kamen. Alessa fühlte sich zunehmend unwohler dabei, die Gegend zu betrachten. Sie waren auf dem Weg aus der Stadt hinaus. Die Alufolie war fort! Mit Erreichen der Stadtgrenze würden sie bald eines der Lesegeräte passieren. Es würde ihren Chip erkennen und Alarm schlagen. Binnen weniger Augenblicke wäre ein Team vor Ort, das sie jagen und stellen würde. Die Gemeinschaft selbst verfügte nicht über genügend Leute für ein derartiges Unterfangen, deshalb hatten sie eine Sicherheitsfirma engagiert, die in ihrem Auftrag die Stadtgrenze überwachte und auf Alarme der Lesegeräte reagierte. Nur wer über einen gültigen, vom Rat abgesegneten Passierschein verfügte, durfte die Stadt verlassen.
»Ist es noch weit?«
Logan schüttelte den Kopf. »Nur noch ein paar Minuten die Straße runter.«
Ein paar Minuten? Damit läge die Stadtgrenze ganz sicher hinter ihnen! Ihre Handflächen waren schweißnass und ihr Herz raste, während sie beobachtete, wie sie Meter um Meter vorankamen. Fieberhaft suchte sie nach einem Weg, einer Ausrede, mit der sie ihm glaubhaft machen konnte, dass er nicht weiterfahren durfte. Aber es gab keine.
»Halt an!«
Logan setzte den Blinker und fuhr an den Straßenrand. Sie wollte ihm sagen, dass sie keine Zeit mehr hatte und sich von hier ein Taxi nach Hause nehmen würde, doch er kam ihr zuvor. »Ich habe die Alufolie gesehen. Du bist eine Seherin«, stellte er fest. »Und sichtlich keine Wilde.«
Wilde Seher hatten keine Chips implantiert.
»Ja«, würgte sie hervor. Nur langsam dämmerte ihr, dass er nicht hier herausgefahren war, um irgendwelche Unterlagen zu holen, sondern nur, um seinen Verdacht bestätigt zu sehen.
»Warum hast du mich belogen?«
Er klang nicht wütend, bloß interessiert. Für einen Moment zog ihr seine Gelassenheit den Boden unter den Füßen weg. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen, wollte ihn um Schutz und Hilfe bitten, doch sein Auftrag war ein anderer. Alles, was sie tun konnte, war, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben und dann dafür zu sorgen, dass sie Logan Drake nie wiedersah.
»Du arbeitest für die Behörde«, sagte sie schließlich. »Ihr habt engen Kontakt zur Gemeinschaft. Wenn ich dir gesagt hätte, dass ich von dort abgehauen bin und mich seitdem vor ihnen verstecke … Ich hatte Angst, mein Name würde in einer deiner Akten auftauchen und damit auch der Gemeinschaft zugänglich gemacht werden. Außerdem weiß ich ja nicht einmal, ob du mich nicht ohnehin an den Rat ausliefern wirst.«
»Warum sollte ich das tun? Ich traue der Gemeinschaft nicht weiter, als ich ein Schwein werfen kann«, sagte er grimmig. »Der einzige Grund, warum ich für die Behörde arbeite, ist, diesen Haufen von Intriganten im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass sie keinen Schaden anrichten.«
Sie wollte ihm widersprechen, wollte ihm sagen, dass die Gemeinschaft nichts Böses im Sinn hatte. Aber war das wirklich so? Wie sonst sollte man die Versuche bezeichnen, wenn nicht als böse? Es ist nicht die Gemeinschaft, die dahintersteckt , rief sie sich in Erinnerung, sondern nur Doktor Burke und ihr Team. Die Mitglieder der Gemeinschaft waren nicht besser oder schlechter als jeder andere Mensch auch. Sie verfügten nur über andere Fähigkeiten. Obwohl ihr so viele Gründe einfielen, die für die Gemeinschaft sprachen, brachte Logans Blick sie dazu, zu schweigen.
»Warum warst du bei Professor Sparks?«
Das kann ich dir nicht sagen. »Wegen Susannah.«
»Du bist selbst eine Seherin. Warum kannst du sie nicht finden?«
»Dazu müsste ich etwas berühren, das ihr gehört«, sagte sie wahrheitsgemäß, »aber ich weiß nicht einmal, wo sie wohnt.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Irgendwie kaufe ich dir diese ganze Geschichte nicht ab. Warum sagst du mir nicht die Wahrheit?«
»Weil es meine Privatangelegenheit ist, die niemanden sonst etwas angeht.«
»Hier geht es um eine Mordermittlung!«, sagte er scharf. »Da gibt es nichts Privates.«
»Wenn ich verdächtig bin, verhafte mich.«
Logan seufzte. »Das bist du nicht. Zumindest nicht, was den Mord angeht.« Er drehte sich zu ihr herum und fing ihren Blick ein. »Alessa, ich kann dir helfen, aber dafür musst du dich mir anvertrauen.«
»Ich soll mich jemandem anvertrauen, der meinesgleichen
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