Die Daemonenseherin
würde. »Treffen wir uns an der Royal Mile – vor St. Giles –, in einer Stunde?«
»Ich werde da sein.« Für einen Moment klang es, als wolle er noch etwas sagen, dann jedoch herrschte Stille in der Leitung. Er hatte aufgelegt.
Alessa schob ihr Handy wieder in die Jackentasche. »Ich muss gehen.«
Parker sprang auf, ging zu einer Schublade und kramte darin herum, bis er schließlich einen Schlüssel herausfischte. »Nimm den mit«, sagte er und drückte ihn ihr in die Hand, »dann kommst du zu jeder Zeit herein.«
Sie starrte den Schlüssel an, dessen Zacken sich kühl in ihre Handfläche bohrten. »Ich soll zurückkommen?«
»Sicher. Und du bleibst, solange du willst.«
Zur Hölle, warum eigentlich nicht?
Sie hatte die Nase voll davon, immer allein zu sein. Es war schön, wieder Menschen um sich zu haben, jemanden, vor dem sie ihre Identität nicht geheim halten musste. Es wäre ohnehin nur für ein paar Tage, nur so lange, bis sie wusste, wo sie nun hingehen und was sie mit ihrem Leben anstellen sollte.
Alessa steckte den Schlüssel in ihre Hosentasche. »Danke.«
Kent nickte. »Morgen holen wir deine Sachen. Brauchen wir einen größeren Wagen?«
»Worauf du wetten kannst«, grinste Parker. »Vermutlich müssen wir den größten Umzugswagen mieten, den wir finden können. Du weißt doch, wie Frauen sind.«
»Diese hier hat nur eine gepackte Reisetasche in ihrer Wohnung stehen.«
Die beiden sahen sie erstaunt an, wobei Alessa nicht hätte sagen können, ob es die Tatsache war, dass sie so wenig besaß, oder ob es daran lag, dass ihre Tasche bereits gepackt war.
»Dann können wir glatt den Bus nehmen.«
»Das werde ich jetzt auch tun.«
Sie winkte den beiden zum Abschied kurz zu, ehe sie das Haus verließ. Erst draußen wurde ihr bewusst, dass sie weder wusste, in welcher Straße noch in welchem Stadtteil sich das Haus von Parker und Kent befand. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und machte ein Foto des Hauseingangs samt Hausnummer und ein paar Schritte weiter noch eines des Schildes, auf dem der Straßenname stand.
Ein Stück die Straße entlang war eine Bushaltestelle. Sie warf einen Blick auf die Fahrtroute und sah, dass sie sich in Portobello befand, nur wenige Straßen von der Küste entfernt. Zu gerne wäre sie zum Meer hinuntergegangen, doch wenn sie Logan treffen wollte, musste sie sich beeilen.
Obwohl sich die Sonne immer wieder zwischen den schnell dahinziehenden Wolken zeigte, hatte sie den Reißverschluss ihres Parkas bis nach oben geschlossen und die Hände in den Taschen vergraben. Die Handschuhe hatte sie im Haus vergessen. Sie wollte schon zurückgehen, um sie zu holen, doch dann wäre sie womöglich zu spät zum Treffpunkt gekommen. Es würde auch ohne gehen.
Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis der Bus kam. Eine halbe Stunde später stieg sie an der Princes Street aus und lief das letzte Stück, hinüber zur Royal Mile, wo Logan bereits vor den Stufen von St. Giles wartete.
»Danke, dass du gekommen bist«, begrüßte er sie. »Wollen wir ein Stück gehen?«
Nebeneinander spazierten sie gemächlich die Royal Mile hinunter, in Richtung Holyrood House, der Residenz der Königin. Sie sprachen nicht viel und Alessa fühlte sich in seiner Gegenwart seltsam befangen. Nicht dass ihr seine Nähe unangenehm war, eher das Gegenteil war der Fall, und darin lag wohl auch ihre Nervosität begründet. Sie fühlte sich zu wohl in seiner Gesellschaft. Immer wieder sah sie ihn verstohlen an, konnte sich kaum sattsehen an seinen dunklen Augen und den markanten Zügen.
Bei ihrer letzten Begegnung hatte er ihr angeboten, ihr zu helfen. Zweifelsohne hätte er das nicht getan, wenn er auch nur geahnt hätte, worin ihr Problem bestand. Trotzdem verspürte sie immer noch die Sehnsucht, sich ihm anzuvertrauen. Der Wunsch, dass sich dieser Mann schützend vor sie stellte und alle Gefahren von ihr fernhielt, war plötzlich so präsent, dass sie fürchtete, er könne ihn in ihren Augen lesen. Beinahe wünschte sie sich, dass er es täte.
Logan wirkte angespannt. Zunächst fürchtete sie, seine Unruhe könnte daher rühren, dass er sie in einen Hinterhalt locken und an die Gemeinschaft ausliefern würde. Aber das passte nicht zu dem, was sie bisher beobachtet hatte. Wenn es um seinen Job für die Behörde ging, war er absolut souverän und ließ sich nicht das Geringste anmerken.
»Es tut mir leid, wenn du vorgestern einen falschen Eindruck von mir gewonnen hast«, sagte er nach einer Weile
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