Die Daemonenseherin
verraten haben, denn in dem Augenblick, als sie den Abzug durchzog, sprang er in den Gang zurück. Die Kugel schlug in den Türstock ein, und alles, was sie noch hörte, waren der Nachhall des Schusses und das leiser werdende Echo seiner Schritte.
Selbst als unten die Haustür zufiel, wagte sie nicht, die Waffe zu senken. Noch immer auf die Tür zielend kam sie umständlich auf die Beine und ging in Richtung des Flurs.
»Parker? Kent?«
Sie verstand die Antwort nicht, wusste nicht einmal, ob ihr einer der beiden überhaupt geantwortet hatte, denn in diesem Augenblick brüllte der Dämon in ihr so laut, dass sie zu spüren glaubte, wie der Boden unter ihren Füßen vibrierte.
»O mein Gott!« Sie ließ die Pistole fallen und fuhr zusammen, als der Dämon immer heftiger gegen die Mauern seines Gefängnisses drängte, erfüllt von der zusätzlichen Kraft, die der Einsatz ihrer Gabe ihm gegeben hatte. Er riss so heftig an den Schutzschilden, dass Alessa auf die Knie stürzte, verzweifelt bemüht, die Mauern zu halten.
»Er bricht aus!«
Plötzlich kniete Kent vor ihr und griff nach ihren Armen. »Die Mauer, Alessa! Du musst sie halten. Du kannst es!«
Doch die Mauer bröckelte zunehmend unter dem wuchtigen Ansturm des Dämons. Alessa wankte und wäre gefallen, hätte Kent sie nicht fester an den Armen gepackt. Es war, als sauge ihr der Dämon alle Energie aus den Gliedern. »Ich …kann nicht. Keine Kraft …«
Kent nahm eine Hand von ihrem Arm. Mit den Zähnen zog er den blutigen Lederhandschuh aus und befreite sich auch aus dem zweiten. »Gib mir deine Hände!«
Alessa hörte die Worte, doch es kostete sie all ihre Konzentration, den Dämon abzuwehren, sodass sie unmöglich tun konnte, was Kent von ihr verlangte. Er griff nach ihren Händen. Seine Finger mit ihren verschränkt, die Handflächen fest aneinandergepresst, spürte sie, wie seine Energie in sie strömte und sie mit neuer Kraft erfüllte. Mit einem entschiedenen Ruck richtete sie die Mauer auf und lenkte ihre verbliebene Energie darauf, sie zu verstärken, bis das Brüllen des Dämons verstummte.
Dann fiel sie gegen Kents Brust und die Welt um sie herum versank im Nichts.
14
A m nächsten Morgen fuhr Logan ins Hauptquartier, um den Seher in Empfang zu nehmen, den Devon ihnen auf den Hals gehetzt hatte. Logan hatte entschieden, sich selbst um den Mann zu kümmern und ihn zu den Tatorten zu bringen. Auf diese Weise konnten Avery und die anderen ungestört ihre Suche fortsetzen – nach den Dämonensehern und nach Alessas Freundin.
Bevor er in den Besprechungsraum ging, in dem der Seher ihn erwartete, trommelte er seine Jungs in einem der anderen Räume zusammen und setzte sie über die Anwesenheit des Mannes ins Bild.
»Wir werden Devons Spitzel vermutlich eine Weile am Hals haben. Sorgt dafür, dass er keine Interna zu sehen bekommt, und meidet jeden Hautkontakt.« Nur so war auch wirklich gewährleistet, dass der Seher nicht in die Gedanken seiner Männer eindringen und Dinge erfahren konnte, die ihn nichts angingen.
Daran, wie Devon ihn gestern gefunden hatte, und dass es womöglich gar keiner Berührung bedurfte, um die Gedanken aufzufangen, wollte er gar nicht erst denken. Die wenigsten Seher verfügten über Fähigkeiten, die über die Hellsichtigkeit hinausgingen. Devon war einer von ihnen.
»Wie sieht es aus, Avery, haben die CCTV-Aufnahmen schon weitere Treffer ergeben?«
»Bis jetzt nicht.«
»Lass die Bilder weiter durchlaufen und gib mir Bescheid, sobald du etwas gefunden hast.« Logan stellte seine Kaffeetasse zur Seite und stand auf. »Dann werde ich mir jetzt mal den Kerl ansehen, der uns die Arbeit erleichtern soll.«
»Boss«, rief Fletcher hinter ihm her, als er zur Tür ging.
Logan blieb stehen und wandte sich noch einmal um. »Ja?«
»Vergiss es.« Fletcher schüttelte den Kopf und grinste. »Nicht wichtig, du wirst es sowieso gleich sehen.«
Logan zuckte die Schultern und ging zum Besprechungszimmer.
Als er den Raum betrat, wusste er sofort, was Fletcher gemeint hatte: Devons Seher war eine Frau.
Am Tisch saß eine zierliche Blondine von beinahe ätherischer Schönheit und hielt eine Tasse Kaffee zwischen ihren behandschuhten Fingern. Als sie Logan bemerkte, hob sie den Kopf und sah ihn aus tiefblauen Augen an. Ein strahlendes Lächeln breitete sich über ihre Züge und ließ sie nicht nur noch schöner, sondern auch zerbrechlicher wirken.
Wie eine Elfe , schoss es ihm durch den Kopf.
Das konnte ja heiter werden!
Weitere Kostenlose Bücher