Die Daemonenseherin
Menschenverachtung, mit der diese Wissenschaftler vorgingen, war an Kälte kaum zu überbieten.
Alessa rückte enger an ihn heran und legte ihren Kopf an seine Schulter. Eine Weile sagte sie kein Wort, zeichnete nur geistesabwesend mit dem Finger Kreise auf seine Hüfte. Logan wagte kaum sich vorzustellen, wie die letzten Jahre für sie gewesen sein mussten. Er hatte sich aus freien Stücken für das Alleinsein entschieden, Alessa hingegen war nach ihrer Flucht zur Einsamkeit gezwungen gewesen. Wie oft mochte sie sich nach der Nähe eines vertrauten Menschen, nach einer Berührung oder ein paar tröstenden Worten gesehnt haben in einer Zeit, in der Kälte und Furcht ihre einzigen Begleiter waren?
»Was für Versuche waren das?« Je mehr er darüber wusste, desto eher würde er einen Weg finden, Alessa von dem Dämon zu befreien, der ihr Leben schon viel zu lange beherrschte.
»Sie haben immer wieder die Ausprägung unserer Fähigkeiten gemessen und aufgezeichnet«, sagte sie, ohne den Kopf von seiner Brust zu nehmen. »Bluttests standen auf der Tagesordnung, abgesehen davon haben sie uns gezwungen unsere Fähigkeiten einzusetzen, während sie hinter dickem Panzerglas standen und alles beobachteten. Wir wussten, dass jeder Einsatz den Dämon nährte, doch obwohl wir während unserer Ausbildung gelernt hatten unsere Kräfte zu beherrschen, war es mit dem Dämon anders. Es funktionierte nicht. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle, reagierte nur automatisch auf äußerliche Reize, indem ich auf meine Fähigkeiten zugriff – und jedes Mal, wenn ich das tat, spürte ich, wie dieses Ding in mir wuchs.« Ihre Stimme zitterte, trotzdem fuhr sie fort: »Es hat einige Zeit gedauert, bis ich einen Weg fand, diesen Automatismus zu stoppen.«
»Wie hast du es geschafft?«
»Ich habe herausgefunden, dass ich eine Art Mauer in meinem Geist aufbauen kann. Einen Schutzschild, der zum einen den Dämon und zum anderen meine Kräfte vom Rest meines Bewusstseins abtrennt. Auf diese Weise gelang es uns, unsere Fähigkeiten zu unterdrücken.«
»Euch?«
»Ich habe dieses Wissen an die anderen weitergegeben.«
»Also haben sie doch zugelassen, dass ihr euch seht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Durch den Dämon sind meine Fähigkeiten tatsächlich gewachsen. Ich war schon früher in der Lage, Gedanken anderer aufzufangen, doch nachdem …ich kann mit anderen in Gedanken kommunizieren. Auf diesem Weg habe ich ihnen gesagt, was sie tun müssen – und so haben wir unsere Flucht geplant.«
»Muss ich fürchten, dass du auch in meinem Kopf herumstocherst?«
»Abgesehen davon, dass ich die Mauer fallen lassen müsste, um das zu tun, habe ich schon sehr früh gelernt, dass es etwas ist, was man nicht tut.« Ihre Stimme hatte das Zittern verloren, er glaubte sogar ein Lächeln aus ihren Worten herauszuhören. »Wenn du deine Gedanken also mit mir teilen möchtest, wirst du nicht darum herumkommen, sie laut auszusprechen.«
»So ist es mir auch am liebsten.« Er küsste sie auf den Haaransatz. »Was kannst du sonst noch?«
»Ich kann Menschen beeinflussen.«
»War es das, was du versucht hast, als du mir bei meinem zweiten Besuch sagtest, ich wolle gar nicht hier sein?« Damals hatte er sich gewundert, jetzt jedoch erschienen ihm ihre Worte in einem anderen Licht.
Alessa nickte. »Nur dass es bei dir nicht gewirkt hat.«
»Warum eigentlich nicht?«
»Das habe ich mich auch gefragt«, meinte sie. »Normalerweise sind nur Seher dagegen immun – und von denen auch nur die wenigsten. Ich glaube, es liegt daran, dass in deiner Familie Seherblut fließt. Dein Bruder ist ein Mann mit sehr mächtigen Fähigkeiten. Du bist vielleicht kein Seher, trotzdem hast du sichtlich eine Gabe – Immunität gegen Beeinflussung.«
»Ich würde es eher Starrsinn nennen.«
»Vielleicht hast du recht«, schmunzelte sie.
Das Lächeln schwand jedoch schlagartig, als Logan zum Thema zurückkehrte. »Ihr habt also eure Fähigkeiten nicht mehr eingesetzt. Was passierte dann?«
»Anfangs waren sie irritiert und ließen die Versuche wieder und wieder durchführen, doch die Ergebnisse wurden immer schlechter statt besser. Sie schoben es darauf, dass der Samen nicht die gewünschte Wirkung zeigte und etwas mit der Kreatur darin nicht stimmte.« Die Anspannung kehrte in ihre Stimme zurück. »Ab da wurden wir zur Nebensache. Sie pumpten uns mit Medikamenten voll und ließen uns in den Stahltanks dahinvegetieren, während sie ihre Studien den Samen und der Essenz
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