Die Daemonenseherin
mal mehr das.«
»Und deine Eltern?«, fragte Alessa leise. »Wie haben sie es aufgenommen?« Ihre Hand war auf seiner Hüfte erstarrt, als fürchtete sie, ihre Bewegung könnte ihn zum Schweigen bringen. Doch darüber war Logan längst hinaus.
»Sie sind nie darüber hinweggekommen. In den ersten Monaten haben sie es zumindest noch versucht. Sie benahmen sich, als wäre er im Ferienlager und würde bald zurückkommen. Erst als er uns tatsächlich besuchen kam, schienen sie die Wahrheit zu begreifen.« Es gelang ihm nicht länger, die Bitterkeit aus seiner Stimme herauszuhalten. »Ab da haben sie nicht länger gelebt, sondern nur noch funktioniert. An den meisten Tagen war es, als wäre ich unsichtbar. Ich dachte, wenn ich mich nur genug anstrenge, würden sie mich bemerken. Ich habe mir den Arsch aufgerissen, damit sie endlich sehen, dass ich auch noch existiere, aber egal wie gut meine Noten waren und was immer ich sonst tat, ein knappes Nicken war alles, was ich ihnen jemals an Anerkennung entlocken konnte.«
»Mein Gott«, flüsterte Alessa an seiner Brust. »Ich wusste nicht, dass es auch so sein kann.«
»Bis ich dir begegnet bin, hatte ich nicht die geringste Ahnung, dass das nicht der übliche Fall ist«, gestand er. »Ich wäre nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass Eltern nicht unter dem Verlust ihres Kindes leiden könnten.«
»Wie auch? Du kanntest es schließlich nicht anders.« Ihre Finger streiften über seine Seite. »Es muss schrecklich gewesen sein, so aufzuwachsen.«
Das Verhalten seiner Eltern hatte ihn zweifelsohne geprägt. Er war durchaus in der Lage, sich einzufügen, doch in einer Gruppe Menschen fühlte er sich meistens, als stünde er am Rand eines Spielfeldes und würde den anderen bei einem Rugbymatch zusehen, bei dem er nicht mitspielen durfte. Schon früh hatte er begonnen, sich in Arbeit zu stürzen und alles andere um sich herum auszublenden. Wenn er genug zu tun hatte, war alles in Ordnung.
»Du bist viel allein«, sagte sie, als könne sie seine Gedanken erraten.
»Morgan ist wohl der Einzige, der mich erträgt.« Und die Freundschaft zu ihm stand auf wackligen Beinen, seit der Polizist die Wahrheit über Alessa kannte.
»Was ist mit deinem Team?«
»Ich bin ihr Vorgesetzter«, sprach er aus, was er sich in Gedanken so oft selbst gesagt hatte, »mit ihnen herumzuhängen wäre nicht professionell und würde obendrein meine Autorität untergraben.«
»Blödsinn.«
Logan zog eine Augenbraue in die Höhe.
»Ich glaube eher, dass du dich im Laufe der Jahre so sehr an das Alleinsein gewöhnt hast, dass du gar nicht mehr weißt, wie gut es tun kann, Gesellschaft zu haben.«
Damit hatte sie zweifelsohne recht. Doch die Einsamkeit machte ihm schon lange nichts mehr aus – zumindest war das so gewesen, bis er ihr begegnet war.
»Hast du es denn schon einmal getan?«
»Was?« Logan blinzelte.
»Zeit mit deinen Leuten verbracht.«
Er schüttelte den Kopf. Er war noch nie mit ihnen im Pub gewesen, ebenso wenig ging er auf die Scherze ein, mit denen sie sich oft gegenseitig aufzogen.
»Vielleicht solltest du es einmal versuchen.«
Vielleicht sollte ich das. Zu seinem eigenen Erstaunen erschien ihm alles, was sie sagte, vollkommen logisch und nachvollziehbar. Jeder bereitet sich sein eigenes Bett, hieß es nicht so? Vermutlich war er nicht ganz unschuldig daran, wie er sich in Gesellschaft anderer fühlte.
»Wie bist du zur Behörde gekommen?«, fragte sie weiter.
Logan zuckte die Schultern. »Nachdem ich mit der Schule fertig war, hätte ich alles getan, um von zu Hause fortzukommen. Der schnellste Weg führte über die Army. Nach einer Weile landete ich bei den Special Forces und von dort hat mich die Behörde rekrutiert.«
»Ist es das, was du gewollt hast?«
Darüber hatte er sich noch nie Gedanken gemacht. Er wusste nicht, welchen Weg sein Leben genommen hätte, wenn Devon bei ihnen geblieben wäre. Womöglich hätte er studiert und würde für einen großen Konzern arbeiten, hätte ein Haus und Frau und Kinder. »Gewollt habe ich es nicht«, sagte er nach einer Weile, »aber es ist nichts Schlechtes. Was ich tue, hilft die Welt ein Stückchen sicherer zu machen.«
»Wie lange hast du deinen Bruder nicht mehr gesehen?«
»Seit seinem letzten Besuch zu Hause – vor ungefähr fünfzehn Jahren.«
»Und dann?«
»Traf ich ihn vor ein paar Tagen im Büro meines Vorgesetzten, wo er uns beauftragte … Den Auftrag kennst du ja.«
»Hast du mit ihm
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