Die Dame aus Potsdam
Schreibtisch. Als Noack auf ihn zuging, stand er sofort auf. »Der Gruppenleiter persönlich!?« Diese Frage deutete Überraschung, aber auch eine gewisse Vorsicht an.
»Ach Gerd, lassen wir doch die Formalitäten und Späßchen. Wir kennen uns lange genug. Ich habe ein Anliegen.«
Glinke entspannte sich. »Hans, ich freue mich über deinen Besuch bei einem Paria dieser neuen Gesellschaft. Setzen wir uns dort rüber. Wenn ich dir helfen kann, tu’ ich es gern. Aber erwarte von mir nicht, daß ich Ehemalige in die Pfanne haue.«
»Das würde ich niemals von dir verlangen. Diese Sache ist für uns beide eher harmlos, obwohl ein Toter in Bonn dabei eine Rolle spielt. Hör zu! Ich erzähle dir, worum es geht, und du sagst mir dann, ob und was dir dazu einfällt. Ich werde alle Antworten akzeptieren.«
»Na, dann mal los. Gespannt bin ich schon.«
Noack erzählte von dem Toten am Bismarckturm, von der Makarow als Tatwaffe, vom DDR-Pfennig im Portemonnaie und von dem mehr zufälligen Ermittlungsansatz der Kollegen am Rhein über die Mitglieder des Bonn-Zirkels. »Die Suche nach dem zurückgebliebenen Mann hat sich gestern allerdings als Fehlschlag erwiesen, wenn man die Tatsache, daß der Mann lebt, als Fehlschlag bezeichnen will.«
»Diese Kriminalisten in Bonn stützen das ganze Ermittlungsgebäude also nur auf die Waffe und das Spielgeld?« vergewisserte sich Glinke. »Das ist ja abenteuerlich!«
»Mehr haben sie offensichtlich bisher nicht. Eine Waffe aus sowjetischer Produktion wird da drüben nicht so oft als Tatwerkzeug benutzt. Ich habe mal die Liste der im Lager Nauen abhanden gekommenen Pistolen durchgesehen, aber die Nummer der Tatwaffe war nicht dabei.«
»Und was habe ich nun mit der ganzen Sache zu tun?« wunderte sich Glinke.
Noack strich sich mit der Hand über das Kinn. »Eigentlich nichts. – Aber du hast doch Disziplinarfälle bearbeitet, bei denen Waffenverlust eine Rolle gespielt hat; vielleicht erinnerst du dich an unsere gemeinsamen Recherchen in Kleinmachnow.«
»Natürlich erinnere ich mich. Waffensachen dieser Art waren Fälle mit höchster Priorität, fast so etwas wie Hostienschändung. Aber sie waren sehr selten. Ich weiß nur noch von zwei oder drei Ereignissen, in denen Angehörige des MfS zur Rechenschaft gezogen werden mußten.«
»Eben – und darum habe ich die Hoffnung, daß dabei etwas für mich herauskommen könnte. Also die Frage: Wann und wo ist eine Makarow abhanden gekommen?«
Mit einer Handbewegung dämpfte Glinke die Erwartung. »Ich sagte doch schon, nur zwei oder drei Fälle hat es in den letzten Jahren der DDR gegeben. Inzwischen sind Hunderte, wenn nicht Tausende von Dienstwaffen dieses Typs über dunkle Kanäle verschwunden. Du weißt doch, daß auch die Russen einen blühenden Handel mit großen und kleinen Kriegswerkzeugen betreiben, um ihre Reisekasse aufzubessern.«
Noack nickte. »Alles richtig, aber der Fall in Bonn könnte mit unserer staatlichen Vergangenheit zu tun haben. – Willst du mir nicht deine Fälle schildern? Ich sehe darin jedenfalls keine Belastung für einen Ehemaligen.«
»Na gut. Der Fall, den du kennst, war simpel genug. Ein betrunkener Hauptmann der Grenztruppe hatte seine Pistole verloren. Die Geschichte vom Überfall war reiner Zinnober. Die Makarow ist später gefunden und abgeliefert worden. – Im nächsten Fall hat ein hoher Dienstgrad – erspar mir die Nennung des Namens – seinen Freund erschossen, weil der in die ehelichen Gefilde eingebrochen war. Der Täter hat die Waffe anschließend in den Schwielowsee geworfen. – Der letzte Fall, der mich beschäftigt hat, war delikater: Einem Oberst in wichtiger Position war bei einem Einbruch seine Pistole gestohlen worden. Zur Zeit des Geschehens war nur eine weibliche Person im Hause. Sie habe, so ihre damalige Aussage, zwei Männern die Tür geöffnet, weil die sich als Mitarbeiter des MfS ausgegeben hätten. Als der eine seinen Ausweis aus der Tasche zog, habe der andere sie niedergeschlagen. Als sie wieder zu Bewußtsein gekommen sei, hätten ihr Schmuck und Bargeld gefehlt. Der Oberst hat bei seiner Rückkehr dann festgestellt, daß die Dienstwaffe, die für den bevorstehenden Nachtdienst an der Garderobe hing, verschwunden war.«
»Der Raubüberfall war doch echt, oder?«
»Wir hatten keinen Zweifel, zumal die Frau ziemliche Kopfverletzungen davongetragen hatte. Der Oberst, der nur gelegentlich die Waffe führte, hat natürlich alles getan, den Vorfall so darzustellen,
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