Die Dame aus Potsdam
Kantine, soll ich ihn ausrufen lassen?«
Kommissar Freiberg schüttelte den Kopf. »Der hätte sich schon gemeldet, wenn noch Leserreaktionen auf die Zeitungsmeldung eingegangen wären.«
»Wer nicht da ist, der stört auch nicht«, stellte Lupus fest.
Peters berichtete mit knappen Worten, daß Bernd Kalisch und Beate Randolf mit dem BMW davongefahren seien. Für eine Fahndung habe er keine Notwendigkeit gesehen.
»Ist recht. Die beiden hängen nach wie vor zusammen – das wissen wir nun. Im Augenblick werden sie wohl in einem Restaurant sitzen und sich das Essen schmecken lassen.« Freiberg registrierte die Blicke und ergänzte: »Wir gehen anschließend in die Kantine.«
Hauptkommissarin Lette musterte die Mannen. Freiberg mit seiner schlanken Figur, dem fast asketisch wirkenden Gesicht und dem dunkelblonden Haar wirkte nicht wie ein Mensch, der mit Mord und Totschlag zu tun hat – eher wie ein Privatdozent im Doktorandenseminar. Lupus, untersetzt, graumeliert, ließ gebändigte Kraft erkennen, auch wenn man ihm die Jahre schon anmerkte. Auf ihn konnte man sich im Ernstfall bestimmt verlassen. Ahrens, dem blonden Sonnyboy, sah man an, daß er der Kommissarin ehrenhalber mit Leib und Seele verfallen war. Er schien seinen Job gern zu machen. Peters konnte sie nicht richtig einordnen. Mit seiner Zurückhaltung und den fahrigen Bewegungen wirkte er wie ein Buchhalter vor der drohenden Steuerprüfung. Wenn Singer dagewesen wäre, hätte sie gesagt, er sei der große Anmacher, der glaubt, daß ihm keine Frau widerstehen kann. Er hatte in der Tat eine Ausstrahlung von brutalem Sex. – Aber wenn schon, dann wäre sie lieber mit dem Mann ins Bett gegangen, der ihr gestern abend den Rücken trocken gerieben hatte.
Freibergs »Hallo, Freunde…!« ließ sie aus ihren Gedanken auffahren. »Wie ist der Stand unserer Ermittlungen? Wir werden mal ein Resümee versuchen. Aber bitte kritisch mitdenken und sofort dazwischen fahren, wenn ihr meint, ich liege falsch.«
Stummes Kopfnicken rund um den Tisch.
»Also, ein ehemaliger Oberst des MfS aus Potsdam – später erfolgreicher Spediteur – wird in der Nacht vom Sonntag auf Montag mit einer Makarow am Bismarckturm erschossen. Ziemlich laienhaft wird ein Selbstmord vorgetäuscht. Die Brieftasche fehlt, im Portemonnaie Bargeld und eine DDR-Münze. Tatmotiv unbekannt. Aufruf zur Mitfahndung in der Presse ohne Erfolg. Gleichwohl gibt es in Bonn eine Gruppe von Menschen, die den Toten gekannt hat. Es handelt sich um die Teilnehmer am Abendessen bei Stefan und Ellen Munskau, Immobilienhändler mit Geschäft in der Adenauerallee. Stefan Munskau hat als Handelsattache bei der DDR-Vertretung gearbeitet. Der Hauptmann des MfS heiratete mit Genehmigung des Ministeriums die Bonnerin Ellen mit dem Immobiliengeschäft. – D’accord?«
»War die Frau auch beim MfS?« fragte Lupus.
»Weder sie noch die anderen Frauen der Tafelrunde sind von den Kölnern erfaßt. Dort sind nur die Planstelleninhaber mit Pensionsberechtigung im Computer.«
»Schade!« seufzte Kommissarin Lette. »Die IM und OibE haben oft mehr Unheil angerichtet als die Festbesoldeten.«
»Halten wir uns also an die Männer«, fuhr Freiberg fort. »Auch Hartenstein war ein Planstellenmajor. Er betreibt ein gutgehendes Geschäft mit Kfz-Zubehör, und zwar grenzüberschreitend. – Und nun zum Paradiesvogel der Runde: Bernd Kalisch, früher hochrangiger Elektronikspezialist in der DDR-Vertretung, rechtzeitig in den Westen übergelaufen. Er arbeitet jetzt bei der Bonner Sondertronic KG. Über ihn hält das Bundesamt seine schützende Hand. Dieser Mann ist zwar nicht selbständig, arbeitet aber für ein großes Unternehmen und hat so viel Geld, daß er mit eigenem Flugzeug um die Welt jettet. – Wo finden wir nun den kleinsten gemeinsamen Nenner?«
»Die Kameraden haben alle eine gemeinsame Stasi-Vergangenheit«, stellte Kommissarin Lette fest.
»Ja – und sonst?«
»Die Herren sind alle königliche Kaufleute«, sagte Ahrens und bewies mit der Antwort, daß Liebe nicht immer blind macht.
Freiberg nickte. »Stimmt! Und ein König wurde vom Thron gestürzt. Glaubt jemand, daß die Abendgesellschaft bei Munskaus mit dem Fall nichts zu tun hat?«
Das Schweigen der Tischrunde war Antwort genug.
»Auch wenn wir schon einige Bausteine haben – die entscheidende Frage bleibt offen: Warum wurde Valentin Randolf erschossen? Wenn wir das herausfinden, kommen wir der Frage von wem vielleicht schon einen Schritt
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