Die Dame aus Potsdam
bedingter Zufall sein, aber einige andere Puzzlestücke ließen sich durchaus zusammensetzen. Hartenstein hatte sich mit größter Wahrscheinlichkeit auch in Bonn aufgehalten, als Valentin Randolf am Bismarckturm erschossen worden war. Außerdem hatte er die Möglichkeit, über den Distel-Club Potsdam die Bekanntschaft Silke Marinos gemacht zu haben. Und – was in Freibergs Überlegungen eine große Rolle spielte – ein Kfz-Zubehörhändler verfügte mit Sicherheit über Rallye-Bänder in seiner Kollektion.
Ahrens hatte inzwischen aus Bonn die Personaldaten der am Essen bei den Munskaus beteiligten Personen übermittelt bekommen. Aber auch damit gelang es noch nicht, die so einfach erscheinenden Kürzel aus den Notizen der toten Silke Marino zu entschlüsseln. Das »H« könnte für Hartenstein stehen. Aber die Bedeutung von »P bedrängt H wg. S« war unklar. Wer ist »P«? Wer ist »S«? »B + B nicht zu knacken«. Sollte das bedeuten, daß man B(ernd) Kalisch und B(eate) Randolf nicht auseinanderbringen konnte? Diese Folgerung schien nicht unlogisch zu sein, da Silke Marino ein intimes Verhältnis mit Bernd Kalisch gehabt hatte, bevor Beate Randolf wieder aufgetaucht war. Und dann »P liebt lausig…« Könnte das die Enttäuschung über den Nachfolger sein? – Bei den anderen Kürzeln versagten alle Spekulationen.
»Wir kommen wohl nicht darum herum, diesen feinen Herrn Hartenstein zu vernehmen«, stellte die Hauptkommissarin säuerlich fest. »Aber was wollen wir ihm vorhalten? Ist er Tatverdächtiger oder Zeuge? Mir leuchtet der Zusammenhang mit dem Distel-Club nicht ganz ein. Es mag ja sein, daß sich dort die Ehemaligen des MfS treffen, um ihre Wunden zu lecken. Aber das ist ein Verein mit klar in der Satzung definierten Zielen. Der Vorstand hat sogar die Anerkennung der Gemeinnützigkeit beantragt. In dieses Wespennest, wenn es überhaupt eins ist, können wir nicht so einfach hineinstechen.«
»Warten wir also auf eine Eingebung oder auf neue Erkenntnisse«, sagte Freiberg.
Karl Noack hatte inzwischen versucht, von seinem Schulfreund, dem MfS-Major Glinke, ein paar Interna aus dem Club zu erfahren. Doch viel war es nicht, was Noack telefonisch zur Diskussion beitragen konnte. »Mein Gewährsmann bestätigt, daß die Marino nicht nur mit Oberst Randolf, sondern auch mit dem Präsidenten des Distel-Clubs ins Bett gegangen ist – sowohl vor der Wende als auch noch in jüngster Zeit. Ob sie auch Hartenstein beglückt hat, weiß Glinke nicht. Er möchte überhaupt zu dem Fall nichts mehr sagen. Er scheint, wie viele andere auch, immer noch Angst zu haben. Die Krake hat wohl sehr lange und gefährliche Arme. Das war’s. Ich wünsche euch viel Erfolg.«
»Viel Erfolg! Sein Wort in Gottes Ohr«, murmelte die Leiterin der MUK und sah ihren Kollegen skeptisch an. »Sind wir denn weitergekommen?«
»Ein wenig schon, denke ich«, sagte Freiberg und überlegte laut: »Gehen wir mal davon aus, daß mit ›P‹ der Präsident des Distel-Clubs gemeint ist, dann liest sich die Notiz der Marino so: ›Der Präsident liebt lausig und will nicht nach B.‹ Vielleicht will er nicht nach Bonn und seine Fäden lieber aus dem Hintergrund ziehen. Und ›P bedrängt H‹ könnte bedeuten, daß P auf Hartenstein Druck ausübt; aber in welche Richtung und weshalb? Sind das geschäftliche Pressionen, oder steckt etwas anderes dahinter? – Verdammt, wo ist das wahre Motiv?«
Aus dem Hof drangen die Geräusche der an- und abfahrenden Streifenwagen herauf, hin und wieder auch das Aufheulen eines Kradmotors der Verkehrspolizei. Doch das Fenster zu schließen hätte bedeutet, an den Farbgerüchen zu ersticken.
»Nachher gönnen wir uns noch ein Bier beim ›Strammen Fritz‹«, sagte Angelika Lette. »Diese Luft hier macht die Kehle trocken. Sollen wir nun dem Hartenstein auf den Pelz rücken, oder sollen wir nicht? Das ist die Frage! Wenn der vorzeitig Wind von unseren Absichten bekommt, haut er in den Westen ab.«
»Das hilft ihm auch nicht – wir spurten hinterher; die Mauer gibt’s nicht mehr«, stellte Freiberg fest.
»In meinem Kopf aber noch, Reste davon wenigstens. Aber wenn schon, dann möchte ich die Sache hier vor Ort durchziehen. Da bewegen wir uns auf vertrautem Gelände. Also, was rät der Besser-Wessi?«
»Abwarten! Wir wissen noch zu wenig. Vielleicht erfährt Lupus von Sörensen etwas mehr. Ich hoffe nur, daß die Bonner uns nicht zu lange hängenlassen. Vor allem brauchen wir die Fingerabdrücke vom
Weitere Kostenlose Bücher