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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Shiadhals.
    Ihuarraquax wieherte, drängte. Kelpie sekundierte ihm mit einem gedehnten Schnauben. Ciri zog die Handschuhe zurecht.
    »Ich bin bereit«, sagte sie.
    Rauschen in den Ohren. Blitz und Helligkeit. Und dann Dunkel.
     
    Das Wasser des Sees und die vorabendliche Stille trugen die Flüche des Fischerkönigs weiter, der in seinem Boot an der Schnur zog und ruckte, um den am Grunde verhakten Blinker zu lösen. Das losgelassene Ruder polterte dumpf.
    Nimue räusperte sich ungeduldig. Condwiramurs wandte sich vom Fenster ab, beugte sich wieder über die Ätzradierungen. Vor allem einer der Kartons fesselte ihren Blick. Ein Mädchen mit wehendem Haar auf einer sich aufbäumenden Rappstute. Neben ihr ein weißes Einhorn, ebenfalls aufgebäumt, seine Mähne weht ähnlich den Haaren des Mädchens.
    »Das ist wohl das einzige Fragment der Legende«, kommentierte die Adeptin, »gegen das die Historiker nie etwas einzuwenden hatten, da sie es einhellig für Erfindung und märchenhafte Verzierung hielten, respektive für eine delirante Metapher. Doch die Maler und Grafiker haben den Gelehrten zum Tort Gefallen an dieser Episode gefunden. Da, bitte, kaum ein Bild ohne Ciri und das Einhorn. Was haben wir hier? Ciri und das Einhorn an einem Steilhang über dem Meer. Und hier, bitte: Ciri und das Einhorn in einer Landschaft wie eine Drogentrance, nachts, unter zwei Monden.«
    Nimue schwieg.
    »Kurzum« – Condwiramurs warf die Kartons auf den Tisch   –, »überall Ciri und das Einhorn. Ciri und das Einhorn im Labyrinth der Welten, Ciri und das Einhorn im Abgrund der Zeiten   …«
    »Ciri und das Einhorn«, unterbrach sie Nimue, während sie zum Fenster hinausschaute, auf den See, zu dem Boot und dem sich abmühenden Fischerkönig hin. »Ciri und das Einhorn tauchen aus dem Nichts auf wie Phantome, schweben über dem Spiegel eines Sees   … Vielleicht gerade dieses Sees, des Sees, der Zeiten und Orte wie eine Klammer zusammenhält, der immer anders und doch immer derselbe ist?«
    »Wie bitte?«
    »Phantome.« Nimue blickte sie nicht an. »Ankömmlinge aus anderen Dimensionen, von anderen Ebenen, anderen Orten, anderen Zeiten. Erscheinungen, die jemandes Leben verändern. Die auch ihr eigenes Leben, ihr Schicksal verändern   … Ohne es zu wissen. Für sie ist das einfach   … wieder ein Ort. Der falsche Ort, die falsche Zeit   … Wieder zum wer weiß wievielten Mal der falsche Ort, die falsche Zeit   …«
    »Nimue«, fiel ihr Condwiramurs mit gequältem Lächeln ins Wort. »Ich bin hier die Träumerin, vergiss nicht, ich bin hier für Traumvisionen und Oneiroskopie zuständig. Und du fängst mir nichts, dir nichts zu weissagen an. Als ob du, wovon du redest   … geträumt hättest.«
    Dem plötzlichen Anschwellen der Stimme und der Flüche nach zu urteilen, war es dem Fischerkönig nicht gelungen, den Blinker zu lösen, die Schnur war gerissen. Nimue betrachtete schweigend eine Grafik. Ciri mit dem Einhorn.
    »Das, wovon ich gesprochen habe«, sagte sie schließlich sehr ruhig, »habe ich tatsächlich geträumt. Ich habe es viele Male im Traum gesehen. Und einmal im Wachen.«
     
    Die Reise von Schlochau nach Marienburg kann unter bestimmten Umständen bekanntlich ganze fünf Tage dauern. Da aber die Briefe des Schlochauer Komturs an Winrich von Kniprode, den Hochmeister des Ordens, ihren Adressaten spätestens zu Pfingsten erreichen mussten, verlor Ritter Heinrich von Schwelborn keine Zeit und brach am Tag nach Exaudi auf, um in Ruhe und ohne jede Gefahr einer Verspätung reisen zu können. Langsam, aber sicher. Diese Vorgehensweise des Ritters fand große Zustimmung bei seiner Eskorte, die aus sechs berittenen Schützen bestand, angeführt von Hasso Planck, einem Bäckersohn aus Köln. Die Armbrustschützen und Planck waren eher an solche Edelleute gewöhnt, die fluchten, schrien, einen antrieben und Hals über Kopf galoppieren ließen und später, wenn sie trotzdem nicht rechtzeitig eintrafen, den armen Knechten dieganze Schuld gaben und dabei logen, wie es sich für keinen Ritter gehörte, schon gar nicht einen Ordensritter.
    Es war warm, wenngleich bewölkt. Von Zeit zu Zeit nieselte es, in den Niederungen lag Nebel. Die mit üppigem Grün bewachsenen Anhöhen erinnerten Ritter Heinrich an sein heimatliches Thüringen, seine Mutter und an den Umstand, dass er seit über einem Monat keine Frau gehabt hatte. Die hinter ihm reitenden Schützen sangen mit Inbrunst eine Ballade Walthers von der Vogelweide.

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