Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
dem Kopf am Rückgrat anzustoßen, unter den Rippenbögen einherdefilieren.
Ciri war sich nicht sicher, ob es in ihrer Welt und zu ihrer Zeit solche Fische gab.
Sie ritten am Rande des Steilabfalls entlang, und die Möwen und Albatrosse erschraken überhaupt nicht, gingen widerwillig aus dem Weg, ja versuchten sogar, Kelpie und Ihuarraquax in die Fesseln zu hacken und zu kneifen. Ciri verstand augenblicks, dass diese Vögel niemals einen Menschen oder ein Pferd gesehen hatten. Oder ein Einhorn.
Ihuarraquax schnaubte, schüttelte Kopf und Horn, er war sichtlich unruhig. Wie sich zeigte, zu Recht.
Etwas knackte, ganz so wie zerrissene Leinwand. Die Seeschwalben stoben schreiend und flügelrauschend auf, verdeckten einen Moment lang alles mit einer weißen Wolke. Die Luft über dem Hang begann plötzlich zu zittern, verschwamm wie Glas, über das Wasser rinnt. Und wie Glas barst sie. Aus dem Bruch quoll Dunkelheit, aus der Dunkelheit aber strömten Berittene hervor. Um die Schultern wehten ihnen Umhänge, deren Zinnober-, Amarant- und Karminrot an Feuerschein an einem von der untergehenden Sonne erhellten Himmel gemahnte.
Die
Dearg Ruadhri
. Die Roten Reiter.
Noch ehe der Schrei der Vögel und das alarmierende Wiehern des Einhorns verklungen waren, hatte Ciri die Stute schon gewendet und zum Galopp getrieben. Doch die Luft barst auch auf der anderen Seite, aus dem Bruch strömten weitere Berittene mit Umhängen, die wie Flügel wehten. Der Halbkreis der Treibjagdschloss sich, drängte sie an den Abgrund. Ciri schrie auf, riss Schwalbe aus der Scheide.
Das Einhorn rief sie mit einem scharfen Signal, das sich ihr wie eine Nadel ins Hirn bohrte. Diesmal verstand sie sofort. Es wies ihr den Weg. Eine Lücke im Ring. Es selbst aber bäumte sich auf, wieherte durchdringend und stürmte mit drohend gesenktem Horn auf die Elfen zu.
»Pferdchen!«
Rette dich, Sternäugige! Lass dich nicht fangen!
Sie schmiegte sich an die Mähne.
Zwei Elfen versperrten ihr den Weg. Sie hatten Fangschlingen an langen Stangen. Sie versuchten, Kelpie die Schlingen über den Kopf zu werfen. Die Stute wich geschickt mit dem Kopf aus, ohne auch nur eine Sekunde das Tempo zu verlangsamen. Ciri hieb die zweite Schlinge mit einem einzigen Schwertstreich durch, spornte Kelpie mit einem Schrei zu schnellerem Lauf an. Die Stute flog dahin wie der Sturm.
Doch die anderen waren ihnen schon auf den Fersen, sie hörte ihre Schreie, das Knattern der Umhänge. Was ist mit Pferdchen, dachte sie, was haben sie mit ihm gemacht?
Es war keine Zeit zum Überlegen. Das Einhorn hatte recht, sie durfte sich nicht abermals fangen lassen. Sie musste in den Raum abtauchen, sich verbergen, sich im Labyrinth der Orte und Zeiten verlieren. Sie konzentrierte sich und fühlte entsetzt, dass sie im Kopf nur Leere hatte und einen seltsamen, klingenden, rasch anwachsenden Lärm.
Sie belegen mich mit Zaubersprüchen, dachte sie. Sie wollen mich mit Magie täuschen. Da können sie lange warten! Magie hat eine Reichweite. Ich lasse sie nicht an mich herankommen.
»Lauf, Kelpie!«
Die Stute reckte den Hals und schoss pfeilschnell dahin. Ciri schmiegte sich eng an ihren Hals, um den Luftwiderstand auf ein Minimum zu beschränken.
Die Schreie hinter ihrem Rücken, eben noch laut und gefährlichnahe, wurden leiser, übertönt von den noch immer aufgeschreckten Vögeln. Dann wurden sie ganz leise. Fern.
Kelpie lief wie der Sturm. Der Seewind pfiff geradezu in den Ohren.
In den fernen Rufen der Verfolger erklangen Töne der Wut. Sie hatten erkannt, dass sie es nicht schaffen würden. Dass sie um keinen Preis diese Rappstute einholen würden, die ohne eine Spur von Ermüdung lief, leicht, weich und elastisch wie ein Gepard.
Ciri schaute nicht zurück. Doch sie wusste, dass sie sie lange verfolgten. So lange, bis ihre eigenen Pferde zu röcheln begannen, zu straucheln und die schaumbedeckten Mäuler mit den gebleckten Zähnen fast bis zum Erdboden zu senken. Erst dann gaben sie auf, sandten ihr nur noch Flüche und ohnmächtige Drohungen nach.
Kelpie lief wie der Sturmwind.
Der Ort, an den sie floh, war trocken und windig. Der scharfe, heulende Wind trocknete rasch die Tränen auf ihren Wangen.
Sie war allein. Wieder allein. Mutterseelenallein.
Ein Wanderer, eine ewig Herumirrende, eine Seefahrerin, verloren auf den grenzenlosen Meeren inmitten des Archipels von Orten und Zeiten.
Eine Seefahrerin, die im Begriff war, die Hoffnung zu verlieren.
Der Wind pfiff und
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