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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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erstarrter Teer. Hinter dem See, hinter Müllhalden, Aschebergen und Schlackehaufen, war der Himmel von fernem Feuerschein erhellt, das Rot von Rauchstreifen durchzogen.
    Das Einhorn schnaubte. Ciri wollte sich mit der Manschette die tränenden Augen abwischen, bemerkte aber plötzlich, dass der ganze Ärmel von Staub bedeckt war. Eine Staubschicht überzog auch ihre Schenkel, den Sattelbogen, Mähne und Hals Kelpies.
    Der Gestank benahm ihr den Atem.
    »Ekelhaft«, murmelte sie. »Widerlich   … Ich glaube, ich klebe überall. Lass uns hier verschwinden   … Lass uns schleunigst hier verschwinden, Pferdchen.«
    Das Einhorn bewegte die Ohren, schnaubte.
    Nur du kannst das bewirken. Handle.
    »Ich? Allein? Ohne deine Hilfe?«
    Das Einhorn nickte mit dem Horn.
    Ciri kratzte sich am Kopf, seufzte, schloss die Augen. Konzentrierte sich.
    Anfangs waren da nur Kleinmut, Resignation, Furcht. Doch bald legte sich eine kalte Helle über sie, die Helligkeit von Wissen und Kraft. Sie hatte keine Ahnung, woher dieses Wissen und diese Kraft kamen, wo sie ihre Wurzeln und Quellen hatten. Aber sie wusste, dass sie es konnte. Dass sie es schaffen würde, wenn sie wollte.
    Sie warf noch einen Blick auf den erstarrten und toten See, die rauchende Abfallhalde, die Skelette der Bäume. Auf den von fernem Feuerschein erhellten Himmel.
    Sie beugte sich herüber und spuckte aus. »Gut, dass das nicht meine Welt ist. Sehr gut!«
    Das Einhorn wieherte vielsagend. Sie verstand, was es sagen wollte.
    »Und selbst wenn es meine ist« – sie wischte mit einem Taschentuch Augen, Mund und Nase ab   –, »dann ist es zugleich nicht meine, weil sie fern in einer anderen Zeit liegt. Zweifellos in ferner Zeit. Das ist die Vergangenheit oder   …«
    Sie stockte.
    »Die Vergangenheit«, wiederholte sie tonlos. »Ich glaube fest, dass es die Vergangenheit ist.«
     
    Den Regenguss – der reinste Wolkenbruch   –, in den sie am nächsten Ort gerieten, begrüßten sie als wahre Wohltat. Der Regen war warm und roch aromatisch nach Sommer, Grün, Morast und Kompost, der Regen wusch den Unrat von ihnen ab, reinigte sie, bereitete ihnen eine wahre Katharsis.
    Wie jede Katharsis wurde auch das auf die Dauer monoton, des Guten zu viel und unerträglich. Das Wasser, das sie umfloss, begann sie nach einer Weile lästig zu durchnässen, in den Kragen zu rinnen und unangenehm kalt zu werden. Also verließen sie diesen regnerischen Ort. Denn es war wieder nicht der richtige. Und nicht die richtige Zeit.
     
    Der nächste Ort war sehr warm, dort herrschte Hitze, also trockneten Ciri, Kelpie und das Einhorn und dampften dabei wie drei Teekessel. Sie befanden sich auf einer sonnendurchglühten Heide am Waldrand. Man merkte sofort, dass es ein großer Wald war, einfach ein Urwald, dicht, wild und unzugänglich. In Ciris Herz begann sich Hoffnung zu regen – das konnte der Wald Brokilon sein, also endlich ein bekannter und rechter Ort.
    Sie folgten langsam dem Waldrand. Ciri hielt Ausschau nach etwas, das als Anhaltspunkt dienen konnte. Das Einhorn schnaubte, reckte Kopf und Horn hoch empor, schaute sich um. Es war unruhig.
    »Glaubst du, Pferdchen«, fragte sie, »dass man uns verfolgen kann?«
    Ein Schnauben, sogar ohne Telepathie verständlich und eindeutig.
    »Wir sind noch nicht weit genug geflohen?«
    Den Gedanken, den es ihr zur Antwort übermittelte, verstand sie nicht. Es gab kein Fern und Nah? Eine Spirale? Was für eine Spirale?
    Sie verstand nicht, was Ihuarraquax meinte. Doch die Unruhe griff auf sie über.
    Die sonnenverbrannte Heide war nicht der rechte Ort und die rechte Zeit.
    Sie merkten es am Abend, als die Hitze nachließ und am Himmel über dem Wald anstelle eines Mondes zwei aufgingen. Einer groß, der andere klein.
     
    Der nächste Ort war ein Meeresufer, ein Steilabfall, von dem aus sie schaumgekrönte Wellen sahen, die sich an Felsen von wunderlichen Gestalten brachen. Es roch nach Seewind, es schrien die Seeschwalben, Lachmöwen und Sturmvögel, die als weiße und bewegliche Schicht die Vorsprünge des Kliffs bedeckten.
    Das Meer reichte bis zu dem von dunklen Wolken verhangenen Horizont.
    Unten, auf dem steinigen Strand, erblickte Ciri plötzlich das halb im Geröll vergrabene Skelett eines riesigen Fisches mit ungeheuer großem Kopf. Die Zähne, mit denen die ausgebleichten Kiefer besetzt waren, maßen in der Länge mindestens drei Spannen, und in das Maul, schien es, konnte man auf dem Pferde reiten und in aller Ruhe, ohne mit

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